In unserer Artikel-Reihe "Mom2Mom" gibt eine Mutter der nächsten das Wort. Gestartet sind wir in Zürich, dann ging die Reise ins Bündnerland, ins Fürstentum Liechtenstein und an den Walensee. Malina hat vier Kinder und lebt im Zürcher Oberland. Zum Glück nimmt die Gelassenheit in Sachen Kindererziehung mit jedem Jahr zu, findet sie. Weil es immer wieder neue Lösungen gibt. Ihr erstes Kind kam mit schwerem Herzfehler zur Welt, sie hatte somit schon einige überfordernde Situationen im Familienalltag und ist dabei an ihre Grenzen gestossen.
Tadah: Wie hat sich Dein Leben verändert, als Du Mutter wurdest?
Natürlich grundlegend, wobei mir das erst mit der Zeit so richtig bewusst wurde. Schon als ich schwanger war, fühlte es sich an, als hätte ich eine neue Rolle in der Gesellschaft. Eine, die von der Öffentlichkeit definiert wird – das erlebte ich als eingrenzend. Gleichzeitig war die Geburt meines ersten Kindes der intensivste und schönste Moment in meinem bisherigen Leben. Auch wenn das kitschig klingt, empfinde ich das Muttersein jeden Tag auch als ein Geschenk. Mein erstes Kind kam schwerkrank mit einem Herzfehler zur Welt. Die Dankbarkeit über das Wunder des Lebens begleitet uns seit Anbeginn.
Steckbrief
NAME
Malina Müller
KIDS
Jul (13), Luk & Max (9), Line (3)
WORK-LIFE-INTEGRATION
Malina arbeitet zu 50% als Buchhändlerin und unregelmässig jeweils 20% als Lehrerin.
Findest Du Elternratgeber wertvoll? Und wenn ja, welche?
Ich glaube, dass es eher zu viele Ratgeber gibt und die Mehrheit finde ich auch nicht sinnvoll. Empfehlenswert finde ich Bücher immer dann, wenn sie eine Hilfe sind und einen nicht zusätzlich verunsichern oder belasten, weil das Konzept darin im eigenen Leben nicht umsetzbar ist. Eine gute Beziehung zum Bauchgefühl finde ich wichtiger. Ich habe selbst mit Largo angefangen und lese aktuell sehr gerne Bücher von Müttern wie Mareice Kaiser, Teresa Bücker oder Susanne Mierau. Darin erkenne ich mich wieder oder dahin möchte ich, sie sind also auch inspirierend.
Welchen Ratschlag würdest Du einer Mutter geben, die ihr erstes Kind erwartet?
Am besten gar keinen. Und wenn sie mich doch darum bittet, würde ich sie möglichst bestärken, auf ihre innere Stimme zu hören. Sich gut zu organisieren und zu vernetzten – und das schon früh. Das war mir selbst eine Hilfe. Und natürlich das Angebot, oder vielmehr die Handlung, konkret Hilfe zu leisten, wenn sie irgendwo erwünscht oder nötig ist.
Wann und warum wusstest Du, dass der Vater Deiner Kinder der Vater Deiner Kinder werden wird?
Das wusste ich lustigerweise schon sehr früh. Wir haben schon bevor wir ein Paar wurden über Kinder gesprochen und hier war es auch mein Bauchgefühl, das mir sehr deutlich zeigte: Dieser Mann ist mehr als eine kurze Liebschaft.
Zum Glück nimmt die Gelassenheit mit jedem Jahr zu, weil man dann doch immer wieder Lösungen sieht.
Hast Du je gedacht: Das schaff ich nicht? Und wenn ja, in welcher Situation? Und wie hast Du sie gemeistert?
Das habe ich schon oft gedacht. Zum Glück nimmt die Gelassenheit mit jedem Jahr zu, weil man dann doch immer wieder Lösungen sieht. Wir hatten viele überfordernde Situationen im Familienalltag, sind über unsere Grenzen gegangen und haben uns dabei nie, oder nur zeitweise, verloren.
Auch die Geburt der Zwillinge beispielsweise, mit dem langen Schlafmangel und der Doppelbelastung mit dem noch zu beendenden Studium war so eine Situation, in der ich mich oft gefragt habe, wie wir das schaffen sollen. Hinzu kam die Pflege eines schwerkranken Kindes. Den Spitalalltag mit dem eigenen Berufsalltag zu kombinieren, erfordert enorm viel Kraft von Familien. Auch kenne ich Zeiten von schwerer Erkrankung eines Elternteiles mit Klinikaufenthalt, Operation und Therapien. Hier ging es nur noch dank externer Hilfe, wie zum Beispiel dem Entlastungsdienst.
Hast Du manchmal ein schlechtes Gewissen Deinen Kindern gegenüber?
Regelmässig sogar, aus unterschiedlichen Gründen. Oft geht es aber darum, sie in ihrer Entwicklung und ihrer Individualität zu wenig unterstützen zu können oder dem gerecht zu werden, was mein eigenes Mutterbild von mir verlangt. Was ganz einfach mit einer Ressourcenknappheit verbunden ist. Weil ich zu wenig Zeit habe, weil ich denke, meinen Kindern bessere Rahmenbedingungen bieten zu müssen oder einfach, weil ich zu müde bin, ihnen am Abend ein zweites Kapitel vorzulesen. Unterdessen nehme ich aber nicht mehr alles auf meine Schultern, sondern sehe auch ein Problem im System, das Familien vergisst oder zu viel von ihnen verlangt.
Darf man als Mutter lügen? Und wenn ja, wann und wieso?
Hier gibt es für mich keine allgemeingültige Antwort. Der Kontext der Lüge sollte berücksichtigt werden. Ich würde hinterfragen, warum eine Lüge notwendig erscheint. Hier kommt mir Bachmanns Zitat «die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar» in den Sinn. Wir sollten hierbei auch Kinder nicht unterschätzen. Es gibt aber durchaus Situationen, in denen eine Lüge für mich eine Situation vereinfachen kann und ich sie darum auch wähle, ohne dabei in einen grossen moralischen Konflikt zu kommen.
Euer Lieblingskinderbuch?
Es sind Lieblingsbücher. Bei uns vermehren sie sich in jedem Raum. Ich mag ganz viel vom Carlsen Verlag, und Klett Cotta finde ich grosse Klasse, aber auch die Klassiker aus dem Diogenes Verlag. Momentan sind es die Comics von «Hugo und Hassan» oder «Mira», und gelesen haben wir zuletzt Frida Nilsson.
Wie sieht ein idealer Tag mit Deinen Kindern aus?
Wir liegen alle mit einem guten Buch gemeinsam in einem weichen Bett, während es draussen regnet – das ist vermutlich mehr meine Wunschvorstellung. Ideal ist, wenn alle ihre Bedürfnisse parallel stillen können und ein schönes Gemeinschaftsgefühl entsteht oder wir draussen unterwegs sind, uns Sachen erzählen und zusammen lachen.
Wie einer «dieser» Tage?
Die sind oft am ersten Ferientag (oder nach dem ersten Schultag) mit schlechter Laune und wenig Energie und gleichzeitig hohen Ansprüchen.
Welche Charaktereigenschaften soll Dein Kind von Dir haben?
«Sollen» am besten gar keine. Ich wünsche ihnen, dass sie geduldig und kreativ sind und ein starkes Vertrauen in sich und die Welt haben – das hat mir schon oft geholfen.
Wofür gibst Du am meisten Geld aus?
Es wäre gut, wenn ich das wüsste, dann hätte ich vielleicht mehr davon. Nein ehrlich: Geld ist nicht mein Lieblingsthema und doch finde ich wichtig, dass wir mehr und offener darüber sprechen. Wer was hat und wer was nicht hat. Gerade ist ein gutes Buch von Mareice Kaiser dazu erschienen. Mein Mann und ich arbeiten beide in einer Teilzeitstelle und leben mit einem kleinen Familienbudget. Ich denke fast, es sind die Miete oder das Essen, wofür wir das meiste Geld brauchen. Regelmässig gebe ich Geld für Bücher und Geschenke aus und vielleicht etwas zu viel für Blumen.
Wie ähnlich bist Du Deiner eigenen Mutter?
Wahrscheinlich ähnlicher als ich denke. Sie war eine sehr geduldige und tolerante Mutter, diese Eigenschaften habe ich auch. Sie hat auch immer viel gelesen – viele sagen ausserdem, dass wir eine ähnliche Stimme haben, und ich muss manchmal lachen, wenn ich unsere Hosen gar nicht so unterschiedlich finde.
Was inspiriert Dich?
Inspiration finde ich zum Glück fast überall. In der Natur, unter Menschen, in der Literatur und Kunst, während eines Wetterwechsels, in Alltagssituationen und natürlich im Spiel von meinen Kindern.
Was macht Dich nervös?
Wenn ich in der Schwebe bin, auf einen Bescheid warte oder sich ein Nachhausekommen eines Kindes zu lange hinauszögert. Aber auch das Warten auf Abstimmungsresultate oder eine To-do Liste, die mir im Nacken sitzt.
Wie und wo tankst Du für den nächsten Tag Energie?
Indem ich am Tag bewusst entspanne und freudige Momente wahrnehme. Mögliche Pausen direkt auskoste und versuche, nicht zu spät ins Bett zu gehen. Das alles gelingt mal besser und mal weniger gut. Am ehesten gelingt mir das draussen in der Natur.
Die Vereinbarkeit habe ich mir einfacher vorgestellt. Die Realität entspricht nicht meinem Wunsch.
Hat sich Deine Einstellung zu Deiner Karriere geändert, seit Du Mutter bist?
Oh ja, das hat sie immer wieder. Die Vereinbarkeit habe ich mir einfacher vorgestellt. Die Realität entspricht nicht meinem Wunsch.
Viele sagen, dass es ein Dorf für eine Familie braucht. Dem stimme ich zu. Aber wo ist dieses Dorf?
Findest Du, man kann in der Schweiz Familie und Beruf gut unter einen Hut bringen?
Nein, das finde ich nicht. Ich bin immer wieder wütend darüber, wie ein solch reiches Land mit Familien umgeht. In der Schweiz gibt es bis heute nicht einmal ein Kinderhospiz. Pflegende Eltern sind kaum sichtbar. Auch wenn ein Elternteil erkrankt, gibt es in der Schweiz keine Eltern-Kind Reha, wie es das zum Beispiel in Deutschland gibt. Teilzeitstellen sind zu schlecht bezahlt. Die Wartelisten für Kitas zu lange und die Qualität sehr unterschiedlich. Es gibt noch viel Luft nach oben. Von der längst fälligen Elternzeit haben wir noch gar nicht gesprochen. Viele sagen, dass es ein Dorf für eine Familie braucht. Dem stimme ich zu. Aber wo ist dieses Dorf?
Was fehlt? Was müsste Deiner Meinung nach anders sein?
Eben: Das Dorf fehlt. Familien sollten unabhängig von ihrer Ursprungsfamilie und ihrem sozio-ökonomischen Hintergrund die notwendige Unterstützung erhalten. Familie ist politisch und sollte in einem Sozialstaat mehr mitgedacht werden, damit Teilnahme und gesundes Wachstum möglich ist.
Wie löst Ihr die Betreuung der Kinder?
Mein Mann und ich teilen uns die Betreuung. Zudem haben wir das Glück einer sehr guten, integrativen Kita und eines Schulhortes am Waldrand; ohne die würde es nicht gehen. Im Moment kommen an einzelnen Nachmittagen zwei Frauen vom Entlastungsdienst, die uns im Alltag mit den Kindern und im Haushalt entlasten. Es ist ein grosses Netzwerk. Am Wochenende und in den Ferien ist immer wieder die Grossmutter aktiv. Ausserdem leben wir in einer belebten und verkehrsarmen Wohnform mit vielen anderen Familien, wo schon früh unbeaufsichtigtes Spiel möglich ist.
Welcher Mutter möchtest Du das Wort übergeben und wieso?
Mattea – sie ist eine Frau, Künstlerin und Mutter, die mich im Leben immer wieder inspiriert.
Hier gehts zur letzten #mom2mom.