Sonja Grampp hat eine verantwortungsvolle Aufgabe. Oder besser: zwei. Denn sie ist nicht nur CEO bei The Body Shop Schweiz, sie ist auch Mutter einer neunjährigen Tochter. Wie sie das eine mit dem anderen verbindet und wo sie Gemeinsamkeiten sieht, erzählt sie im grossen Tadah-Interview.

Sonja Grampp ist CEO von The Body Shop Schweiz. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Tochter Maja (9) lebt sie im zürcherischen Hedingen.
Tadah: Kann eine Frau CEO und Mutter sein? Musstest Du diese Frage je beantworten?
Ja, das war tatsächlich ein Thema. Aber in einem extrem positiven Sinne. So, dass es mich bestärkt hat darin, es zu sein.
Erzähl!
Ich war zuvor in einer Position, in der die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht funktionierte. Die Vorstellung meiner Vorgesetzten und meine eigene in Bezug auf welche Flexibilität und welches Vertrauen ich bekomme und zu welchen Uhrzeiten ich meine Arbeit mache, gingen zu stark auseinander. Und dies, obschon ich sie als Person sehr schätze. Wir sind noch heute gut befreundet. Aber im Arbeitskontext hat das nicht geklappt. Aus diesem Grund war es für mich wahnsinnig wichtig in dem Bewerbungsgespräch mit The Body Shop ganz genau zu platzieren, was ich möchte. Und auch, was ich nicht möchte. Mit jeder Gesprächsrunde habe ich gedacht: Jetzt flieg ich raus. Aber das war nicht so. Sie fanden meine Standpunkte gut. Und es ist auch heute so: Es ist machbar. Darüber freue ich mich sehr.
Wie muss ein Job aussehen, dass ich gefordert werde und trotzdem meinen Freiraum für unsere Tochter und meine Familie habe?
Erwartungen sind ja so eine Sache. Es geht dabei nicht mal nur um die fremden, sondern vor allem um die eigenen. Wie ist das bei Dir?
Ich musste mir selbst die Frage beantworten: Will ich wirklich wieder eine so grosse Rolle einnehmen? Als ich schwanger wurde, habe ich den internationalen Verkauf von Freitag geleitet. Das war eine Position mit viel Verantwortung, die sich auch im Wandel befand. Ich hätte nach meinem Mutterschutz viel mehr reisen müssen und da war für mich klar, das will ich mit einem Baby nicht. Ich habe den für mich richtigen Weg gesucht und gefunden. Dabei habe ich mich bei jeder Stelle gefragt: Was ist das richtige Mass an Verantwortung? Wie muss ein Job aussehen, dass ich gefordert werde und trotzdem meinen Freiraum für unsere Tochter und meine Familie habe? Die Anstellung bei The Body Shop, die habe ich meiner Tochter Maja zu verdanken.
Wie meinst Du das?
Wir waren am Spazieren und haben ein Nachbarsmädchen mit ihrer Nanny getroffen. Und da sagt Maja auf einmal: «Mama, ich möchte auch mal eine Nanny haben.»
Wieso das denn?
Es war eine Reise zu neuen Vorbildern. Das Zusammensein mit einer jungen Person, zu der sie aufblicken kann. Das hat sie plötzlich angefangen zu interessieren. Und das hat mich dann dazu bewogen zu sagen, dass es passt. Zudem mein Mann relativ häufig im Home Office ist und wir uns so gut organisieren können.


Hast Du ab und zu trotz allem ein schlechtes Gewissen?
Immer wieder, ja. Bei mir ist das ein wenig wie Liebeskummer. Ich erinnere mich an Situationen, da war ich in Genf an einem Meeting und ich rief zuhause an und habe gemerkt: Ich will hier nicht sein. Dann kamen immer wieder die vorhin diskutierten Erwartungen dazu. Ich wollte die Erwartungen meiner Vorgesetzten erfüllen – das war mir wirklich ein echtes Bedürfnis. Sie war für mich in sehr vielen Aspekten ein riesen Vorbild. Aber manchmal ging es nicht, weil ich mein Kind abholen musste.
Also gingst Du?
Natürlich. Ab in die Kita und ab nach Hause. Ich liess Maja iPad schauen, um noch eine E-Mail zu beantworten… Und da habe ich gemerkt: Nein! Das stimmt nicht. Das ist falsch. Aus meiner Gefühlswelt heraus, hatte ich also oft ein schlechtes Gewissen. Aber ich habe daraus auch gelernt.
Jetzt ist wieder eine Situation, da bin ich Mutter. Punkt. Der Rest: uninteressant.
Was?
Ich habe gelernt, Entscheidungen ganz leicht fällen zu können. Zu sehen: Jetzt ist wieder eine Situation, da bin ich Mutter. Punkt. Der Rest: uninteressant. Man muss also für sich selbst einen Weg finden, der für einen stimmt. Und der für das Kind stimmt. Das ist ein Prozess. Man muss immer wieder in sich reinhören und Dinge ausprobieren.
Wie hat Maja reagiert?
Sie spürt natürlich, wenn ich in solchen Gewissenskonflikten stecke. Ich kann mich gut an eine Situation erinnern, in der ich nicht sicher war, was ich tun sollte. Dann kam Maja mit einer mit Federn verzierten Packung Kinderschokolade auf der draufstand: Hab nur Mut, alles wird gut. Kinder sind sehr klug, sie spüren viel.

Wie bist Du aufgewachsen?
Meine Mutter war über viele Jahre sehr involviert in ihren Beruf. Auch aus der Not heraus. Wir waren alleine und sie musste für unsere finanzielle Unabhängigkeit sorgen. Das hat die Beziehung geprägt. Und zwar ohne, dass ich es wirklich wusste. Mir ist erst im eigenen Muttersein bewusst geworden, dass ein gewisser kindlicher Groll aus dieser Zeit kommt.
Hat Dich das in Deinen Entscheidungen beeinflusst?
Ja. Und vielleicht ist dieser Mut, die Situationen zu beurteilen und auch die Reissleine zu ziehen, wenn es für mich als Mutter nicht stimmt, daraus entstanden. Der Zugewinn ist aber mehr in die Richtung zur Beziehung zu meiner Mutter. Ich habe unsere Beziehung anders angefangen zu verstehen, weil es bei mir ja auch so ist. Nur weil ich meinen Job liebe, heisst es nicht, dass ich meine Tochter weniger liebe. Ich habe also durch das eigene Kind zu meiner Mutter zurückgefunden.



Wolltest Du schon immer Karriere machen?
Nein. Ich bin aber jemand, der seine Sachen, wenn er sie gern macht, super machen möchte. Ich bin streng zu mir selbst. Aber ich hatte nie eine klare Vision meiner Karriere. Ich bin auch ziemlich spät in eine verantwortungsvolle Position reingekommen. Bei Freitag war ich schon über 30. Durch die verschiedenen Kompetenzen, die ich mir im Lauf der Jahre angeeignet hatte, ist das dann irgendwann so gekommen. Und jetzt steht da CEO auf meiner Visitenkarte – obwohl es sich nicht so anfühlt.
Du bist es aber. Wie bist Du denn in dieser Position?
Manchmal fehlt mir diese Autorität, die man zuweilen auch bräuchte.
Braucht man sie denn wirklich, um eine gute Chefin zu sein?
Je weiter man weg ist von seinen Mitarbeitern, je mehr. Je kürzer die Begegnungen, die man miteinander hat, je mehr. Wir haben knapp 50 Filialen. Und die Leute, die da arbeiten, sehe ich relativ selten. Wenn ich mit meiner eher lässigen Art reinkomme, dann fehlte es manchmal an Durchsetzungsvermögen und ich musste gegensteuern. Insofern: ja. In einem direkteren Umfeld, also im Headoffice, wo man mich direkter erlebt, weil ich ja doch drei Tage pro Woche da bin, braucht es sie aber nicht unbedingt. Da punktet man durch Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit.
Mein Gott, ich bin nun mal eine Frau.
Führt man als Frau anders als als Mann?
Wahrscheinlich. Aber mein Gott, ich bin nun mal eine Frau.
Ok, anders gefragt: Wieso gibt es weniger Frauen im Top-Management?
Männer sind, gerade in Bewerbungsgesprächen, freier. Wir sprechen immer von Gleichberechtigung und von gleich sein. Aber am Ende sind wir nicht ganz gleich. Und das ist auch schön so. Ich glaube, dass Männer tendenziell freier sind von Gewissensfragen – im beruflichen Kontext. Und da unbelasteter sind, wenn wir von den Kindern und der Familie sprechen. Hingegen ist es für den Mann oftmals schwierig, weil er das Gefühl hat, er müsse seine Familie ernähren. Ich glaube aber, dass beide Seiten ihre ursprünglichen, intuitiven Themenfelder haben.
Braucht es eine Quote?
Ich bin kein Freund von fixen Vorgaben. Aber ich bin der Überzeugung, dass man als Unternehmensleiter ein Auge darauf haben sollte, ob die verschiedenen Führungsstile ausreichend ausbalanciert sind. Ich glaube diese Verantwortung ist absolut wichtig. Je nach Branche und Unternehmenskultur ist das unterschiedlich. Aus der Ratio rausgehen und die Menschen als Individuen betrachten – das tun wir zu wenig. Über Quote zu diskutieren ist dann aber sicher nicht schlecht. Denn es regt zum Denken und allenfalls Handeln an.

Müssen wir 8.4 Stunden am Tag arbeiten, 42 Stunden die Woche?
Müssen wir nicht. Aber die Gegenfrage ist: Ist überall alles gleich richtig?
Wohl nicht, nein.
Unterschiedliche Betrachtungsweisen sind etwas Wichtiges im Leben. Was für Menschen braucht es, um welche Aufgaben zu erfüllen? Wie eigenständig müssen sie sein? Mit der Eigenständigkeit kommt die Eigenverantwortung. Vielleicht hat auch nicht jeder Mensch die Fähigkeit zu differenzieren und diese Eigenverantwortung zu übernehmen. Nicht alle können damit umgehen. Nicht alle wollen damit umgehen.
Aber, klar: An Präsenzzeiten festzuhalten ist – gerade mit den heutigen technischen Möglichkeiten – völlig idiotisch. Es muss jeder für sich selbst herausfinden, was für ihn am besten ist. Denn ich bin der Überzeugung, dass jeder Mensch so viel mehr imstande ist zu leisten, wenn er bei sich ist. Wenn er das tut, was für ihn selbst stimmt. Manche mögen klare Routinen, andere brauchen Durcheinander. Das Schöne liegt in der Buntheit. Deswegen mag ich mich nicht gerne auf Klischees festlegen.


Wenn wir von bunt reden, dann passt The Body Shop gut da rein. Es ist aber auch ein Brand mit ganz klaren Linien. Ein Grund, warum Du für eine solche Firma arbeiten wolltest?
Unbedingt. Das, was mich eingangs am Allermeisten mit The Body Shop verbunden hat, ist das Thema der Inklusion. Vielfalt in alle Richtungen. Denn wenn ich eines hasse, dann ist es Ausgrenzung. Das war schon immer so. Und das ist etwas, was ich an The Body Shop liebe – die Vielseitigkeit und Gleichheit untereinander. Wir leben kein streng hierarchisches Konzept. Und dann ist da auch diese finanzielle Zugänglichkeit zur Marke, die ich mag.
The Body Shop steht auch für keine Tierversuche, für Nachhaltigkeit, für Naturschutz. Alles Themen, die Dir auch wichtig sind?
The Body Shop vereint viele Themen, die von grosser Wichtigkeit sind. Sich für die Umwelt einzusetzen, auf Abfall zu achten, sich Gedanken über unseren Planeten zu machen – dafür habe ich mir bis anhin die Zeit nicht genommen. Aber The Body Shop hat mich tatsächlich dazu veranlasst, neu zu denken.
Was mir ebenfalls ein grosses Anliegen ist, sind unsere sozialen Projekte. So zum Beispiel das Thema Unterstützung von Frauen und Kindern. Ich war im Januar in Ghana bei unserem Projekt Community Trade mit Shea-Butter. Im Grunde ist es ein Coworking Space mit Kinderbetreuung – in einer vollkommen anderen Art und Weise. Ein wunderbares Projekt.
Das Wichtige ist, dass man Menschen und Unternehmen auf einen Weg bringt.
Ist es eine Gratwanderung – die Beautyindustrie und Nachhaltigkeit?
Der Punkt ist, dass man sich klar hinstellen muss und definieren muss: Was machen wir und was machen wir nicht? Also eben auch zugeben, dass es Dinge gibt, die wir nicht gut machen. Was dann aber nicht heisst, dass wir nicht daran arbeiten können. Das Wichtige ist, dass man Menschen und Unternehmen auf einen Weg bringt. Viele Menschen demotiviert ein 100%-Anspruch. Denn man spürt in sich, dass man das nicht schaffen kann und fängt gar nicht erst an Veränderungen zu treiben. Es geht eigentlich darum, Grenzen abzubauen. Und das sind genau auch die Dinge, die ich meiner Tochter mit auf den Weg geben will. Du willst Astronautin werden? Dann wirst Du Astronautin. Keine Grenzen setzen, nicht ausschliessen, nicht in Schemata denken.


Ist die Nachhaltigkeit den Menschen wichtiger als zuvor?
Absolut. Es beeinflusst auch ganz aktiv unser Geschäft. Und es ist die Zukunft. Dieser Anspruch ist da und wird nicht mehr gehen. Und da hat The Body Shop auch viele Kunden verloren an Anbieter von Naturkosmetik. Überall steht aber was von natürlichen Ingredienzen drauf. Der Markt hat sich immens verändert und wir müssen uns deutlich positionieren aber auch weiterentwickeln. Es gibt immer mehr Produkte, die kritischeren Ansprüchen standhalten. Da passiert enorm viel bei uns, seitdem Natura & Co The Body Shop von L'Oréal übernommen hat. Endlich, denn wir haben da zuvor ein Stück weit einfach geschlafen. Es ist nicht leicht und gelingt nicht von heute auf morgen - wir führen 1200 Produkte, aber der Anfang ist gemacht.
Verantwortung ist enorm wichtig.
Hat man als Unternehmen eine soziale Verantwortung?
Das kann ich uneingeschränkt mit ja beantworten. Das geht schon im Kleinen los. Welche Haltung habe ich gegenüber meinen Mitarbeitern? Wie stehe ich grundsätzlich als Mensch zu Stärken, Schwächen – Menschlichkeit? Verantwortung ist enorm wichtig. Ich kann aber rein aus meiner Persönlichkeit nicht anders. Für mich ist es oft schwierig, mich abzugrenzen.
Hat Dich das Muttersein insofern verändert?
Es liegt mehr daran, wie ich aufgewachsen bin. Meine Mutter war alleinerziehend und hat in einer Psychiatrie gearbeitet. Ich habe als kleines Kind schon sehr viel gesehen – Menschen mit Verfolgungswahn, Menschen, die sich ihren Kopf an Wände schlagen, Menschen, die auch aufgrund von mangelnder Verantwortung in Situationen gekommen sind, die schwierig sind. Aus dieser Zeit kommt sicherlich auch meine Haltung zu Ausgrenzung. Es gibt kein gut oder schlecht, richtig oder falsch. Ich habe gesehen, dass auch wenn Menschen anders sind, sie trotzdem den gleichen Wert haben. Das hat sich nicht verändert durch das Muttersein.
