Vanessa ist eine Macherin, wie sie im Buche steht. Bei der Geburt des vierten Kindes kam das fünfte auch gleich mit: das WOW Museum. Ein Raum voller Illusionen und genau darüber ging es in unserem Interview: um Illusionen. Und darüber, dass sie Vanessa gezeigt haben, wie offen einem die Türen stehen, wenn man sich Illusionen macht.
Vanessa Kammermann hat gemeinsam mit ihrem Mann das Zürcher WOW Museum gegründet. Sie leben gemeinsam mit ihren vier Kindern Liam (12), Lovis (10), Lennox (7) und Mila (3) in Zürich.
wow-museum.ch
Tadah: Wie kommt man vom Studium der Verkehrswissenschaften zur Stelle als Museumsdirektorin?
Jobs müssen ja immer ins Leben reinpassen. Alles, was das Leben mir angeboten hat, habe ich stets angenommen und so kam immer das eine zum anderen. Ich studierte Verkehrswissenschaften in Dresden, habe dann als Eventmanagerin gearbeitet... Dann kam das dritte Kind und Eventmanagement passte nicht mehr in mein Leben. Ich wollte etwas Sinnvolleres erschaffen. Ich wollte mich nochmal weiterbilden. Das Lehrerstudium klang für mich damals genau richtig. Und es war auch eine grossartige Erfahrung – aber doch nicht meins. Hut ab vor jedem Lehrer, der das Wohl des Kindes immer im Auge behält.
Du hast also die Reissleine gezogen und abgebrochen?
Ja. Es war viel zu viel mit drei Kindern. Studieren, arbeiten und noch Familie – ich schlief kaum noch und fast wäre ich umgefallen. Als mir das alles um die Ohren geknallt ist, mein Mann arbeitssuchend war und ich kurz vor dem Burn-out stand, haben wir uns wieder besinnt und den «Reset»-Button gedrückt.
Im gleichen Jahr dann bist Du schwanger geworden – eigentlich doppelt. Mit Mila und dem WOW-Museum, erzähl!
Mir wurde einfach endlich wieder klar, was mir wirklich wichtig ist. Und das war mein viertes Kind, welches ich immer schon unbedingt haben wollte, nachdem mich der Tod meines Bruders mit 22 zum Einzelkind werden lassen hat.
Gleichzeitig kam auch wieder die Idee hoch mit dem «Raum für Illusionen», die seit der dreimonatigen Reise durch Neuseeland, Japan und Australien nach der Geburt unseres dritten Kindes in unserem Kopf herumschwirrte. So kam auch hier das eine zum anderen. Mal wieder.
Passt jetzt alles zusammen?
Alle meine drei «Berufe» passen wunder in und zu meinem Job als Museumsdirektorin. Alle meine Geschicke und mein Können widerspiegeln sich im Museum. Das Organisieren, das wirtschaftliche Denken, die Pädagogik. Im ersten Jahr waren bereits 400 Schulklassen bei uns. Denn: Vieles im Museum hat einen grossen, pädagogisch wertvollen Aspekt, aber man erkennt es erst beim genaueren Hinschauen.
Apropos zusammen: Du arbeitest mit Deinem Mann. Ist das nicht manchmal zu viel Nähe? Zuviel «zusammen»?
Ich finde es grossartig. Es ist für uns ein Weg, hauptsächlich unsere Stärken und schönen Seiten zu sehen. Denn jeder von uns macht genau das, worin er besonders gut ist. Da verliebt man sich manchmal täglich neu. Man bewundert den Partner wieder viel mehr und entdeckt ständig neue Seiten an ihm.
Wir sind etwas crazy und schlafen leider oft zu wenig.
Er sitzt seit zwei Jahren 100% im Homeoffice, was nur mich manchmal etwas nervt, da ihm die Gesprächspartner fehlen. Ihn stört es gar nicht! Er tanzt in seinem Schlabberlook mit Mila viel durchs Haus, wenn er eine Pause braucht. Er ist in unserem Team der Finanzler und der Kreative. Ich bin die Macherin und setze sofort um – früher allein, jetzt mit meinem Team. Wenn er Nachts um 2 Uhr eine lustige Idee hat, schreib ich noch in der gleichen Nacht die E-Mail und alles wird in seine Bahnen gelenkt. Wir sind etwas crazy und schlafen leider oft zu wenig.
Habt Ihr einen grossen Freundeskreis, der Euch hierbei unterstützt? Vier Kinder, Museum – das ist ja nicht ohne.
(Lacht laut) Mit so vielen Kindern wird man nicht mehr viel eingeladen und hat auch nicht mehr so viel freie Kapazitäten, um sich um Freundschaften zu kümmern. Aber die Kinder haben uns ganz automatische, wunderbare und neue Freundschaften beschert. Die alten Freundschaften, die schon seit Studium bestehen, sind sehr befruchtend, da man sich zum Teil gegenseitig super Ideen von Lebensentwürfen hin und her schmeisst.
Ich «reise» gerne mit meinen Freunden möglichst lang im gleichen Zugabteil.
Eine liebe Freundin sagte mal, Freundschaften sind wie Zugabteile, Menschen kommen und gehen. Ganz so sehe ich das nicht. Ich «reise» gerne mit meinen Freunden möglichst lang im gleichen Zugabteil. Manchmal reist man zwischendurch mal in verschiedene Richtungen, aber immer wenn man sich wieder trifft ist es einfach eine riesen Freude, mit tollen Gesprächen und vielen Lachern.
Was braucht mehr Mut: Eine Familie zu gründen oder ein Unternehmen?
Das erste Kind war auf jeden Fall der krassere Einschnitt und hat vieles komplett in unserem Leben unerwartet verändert. Wir waren nicht drauf vorbereitet, dass sich das Leben so sehr ändern würde. Das Unternehmen war dann quasi eher Mittel zum Zweck, die richtige Balance zwischen Kindern und Karriere zu finden. Und den Lebensstil zu führen, den ich mir gewünscht habe. Beides also komplette Erfüllung.
Dadurch, dass man an beiden Stellen ständig gebraucht wird, muss man lernen loszulassen und weniger perfektionistisch zu sein.
Und was braucht mehr Energie?
Beides zusammen ist total beschwingend und befruchtend. Eines alleine wäre sehr zermürbend. Aber dadurch, dass man an beiden Stellen ständig gebraucht wird, muss man lernen loszulassen und weniger perfektionistisch zu sein. Das bietet auf beiden Seiten extrem viel Potenzial, da sich der Mensch – das gilt für die Kinder und für die Mitarbeitenden – sehr viel freier entwickeln kann. Ich finde es ein super spannendes Gemisch. Und liebe diesen Spread total.
Ihr habt gleich nach dem Lockdown eröffnet. War das so geplant oder musstet Ihr Corona-bedingt etwas schieben?
Wir wollten am 1. April als Aprilscherz eröffnen. Aber seit Februar gab es Lieferschwierigkeiten mit der Elektrik. Und dann kam der Lockdown, da hatten wir dann eh erst einmal andere Sorgen. Unser Au-pair ging zurück, wir waren mit vier Kindern, stillen, kochen, Haushalt, Homeschooling, arbeiten, Bauleitungsgesprächen und unzähligen Calls völlig überfordert. Wir hatten keine Zeit zum nachdenken, wie alles wird, sondern haben an allen Stellen Feuer gelöscht. Kinder ernähren und drei von ihnen beschulen war die erste Priorität. Alles andere lief nebenher.
Wow.
Ja, das war ehrlich gesagt erst einmal keine schöne Situation. Aber auch da haben wir schnell gelernt, abzuspecken und alles etwas lockerer zu nehmen. So gab es halt Abends mehr Brot. Und Mittags wieder mehr Pasta anstatt Vollwertkost. Gestillt wurde während den Calls mit den Männern. Who cares. So kannten sie mich ja schon vorher von den ganzen Meetings. Immer das Kind an der Brust, wenn es gequengelt hat. Die Kinder haben viel mit ihren Freunden draussen gespielt und waren sehr glücklich. Im Nachhinein erinnere ich mich an eine wunderschöne, heimelige und gemütliche Zeit.
Dann habt Ihr eröffnet. An allerbester Lage. Wie habt Ihr das geschafft?
Die Location war eigentlich ein grosser Zufall. Wir haben nach bezahlbaren Mietraum gesucht. Da war mal etwas ausgeschrieben ohne Adresse. Mein Mann hat aufgrund von alten Umrissplänen nachvollziehen können, an welchem Standort es war. Da uns niemand auf unsere E-Mail-Anfragen antwortete, gingen wir vorbei. Der Chef wusste von nichts. Ein paar Monate später meldete sich seine Frau bei uns uns und sagte, sie hätte nur mal ein heimliches Inserat geschalten, um zu schauen, ob sie einen Nachmieter finden würden.
Die Stadt wollte eigentlich keine Umnutzung der Immobilie, also haben wir viele Monate darum gekämpft, dass wir sie überhaupt bekommen. Und siehe da: Die Ausdauer hat sich gelohnt! Sogar beim Singing Christmas Tree hab ich hochschwanger mit allen Kindern im Regen teilgenommen, um «die Location zu besingen».
Das Museum hat mir gezeigt, wie offen die Türen stehen, wenn man sich Illusionen macht.
Das WOW Museum ist ein Raum für Illusionen. Hat es Dir selbst Illusionen geraubt?
Nein, nie. Es hat mir nur gezeigt, wie offen einem die Türen stehen, wenn man sich Illusionen macht. Die Welt hat so wunderbar offen auf unsere Idee reagiert, dass wir es manchmal nicht glauben konnten.
Ich habe quasi zwei Familien oder zwei Firmen.
Ihr habt das Museum als Familie gegründet, habt jetzt aber natürlich auch andere Angestellte. Wie gut funktioniert das?
Die ersten Mitarbeiter waren wie Familienmitglieder – man schaut zueinander und passt aufeinander auf. Das ändert sich natürlich etwas mit der Zeit. Man kann nicht über 30 Kinder haben, die auch immer mal wieder wechseln. Aber ja, ich habe quasi zwei Familien oder zwei Unternehmen. Es war immer mein Ziel, eine «grosse WOW Familie» zu haben. Die ersten eineinhalb Jahre war ich sehr viel im Museum und hab nach allem geschaut. «Dank» Omnikron wurde dies dann viel weniger, da ich nicht verantwortlich sein wollte, alle anzustecken – mit vier Kindern ist das Risiko ja doch ziemlich hoch. Aber das zeigte mir auch auf, dass ich ein geniales Team habe, dem ich komplett vertrauen kann und dass sie ohne mich gut klarkommen. Alles immer als Chance sehen ist ja meine Devise.
Im WOW Museum im Foyer spiegelt sich das Wort WOW an der Decke und wird zu MOM. Extra?
Teils, teils. Mir wurde es erst bewusst, als die Agentur das vorschlug. Da war ich dann Feuer und Flamme. Meine beiden Welten treffen sich dort. Ich liebe unser bemalbares, interaktives Foyer – absolut einmalig auf der Welt, was man mit unserem Logo machen kann. Wir passen unser Foyer immer mal wieder saisonal an. Mal kann man Feuerwerk ablassen, mal kann man es selber anmalen und und und.
Du hast vier Kinder. Wie schaffst du das?
Egal wie viele Kinder du hast – man hat wohl immer das Gefühl, man schafft es nicht, oder? Aber natürlich geht das nur mit einem grossartigen Partner und in unserem Falle mit einer Nanny. Sonst wäre das nicht möglich. Wichtig ist auch die richtige Arbeitsteilung: Jeder macht das, was er am besten kann.
Was ist die Message des WOW Museums an Deine eigenen Kinder?
Seid unternehmungsfreudig und mutig. Nehmt euer Leben in die eigenen Hände. Lupft euren Popo und macht was draus. Arbeiten muss soviel Spass machen, dass die Arbeit zum Hobby wird quasi.
Mein Job ist mein Privatleben. Wir sind viel zu Hause und arbeiten nebenbei.
Wie vereinbarend ist Dein jetziger Job mit Deinem Privatleben?
Mein Job ist mein Privatleben. Wir sind viel zu Hause und arbeiten nebenbei. Es macht einfach nur Spass, diese beiden Welten zu kombinieren.
Was hältst Du generell von Vereinbarkeit? Wie lebst Du sie?
Wie meinst du das? Karriere und Familien? Just do it. Mach, was dir Spass macht und mach es gut und viel. Dann ist es gegenseitig beflügelnd und erquickend. Wenn du was nicht gerne machst, wird alles zur Qual und nichts funktioniert gut.
Was könnte in der Schweiz diesbezüglich in Deinen Augen besser laufen?
Es ist immer einfacher zu wissen, was man nicht will. Aber sich darüber bewusst zu werden: «Was will ich wirklich?», das ist es, wofür wir Energie verwenden sollten. Da kann dir kein Staat dabei helfen. Uns Frauen stehen erstmalig seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrzehnten alle Türen offen, um alles auf der Welt zu tun, was wir wollen.
Also legt los. Es braucht in vielen Fällen gar nicht viel Eigenkapital. Für tolle Ideen und Träume gibt es sogar gerne Geldgeber und Investoren. Das ist unglaublich. Das hätte ich selbst nie für möglich gehalten. Nehmt euer Leben selbst in die Hände, ihr könnt alles erreichen was ihr wollt. Ich hätte niemals gedacht, dass ich mal ein Museum besitze. Aber ich hatte immer Träume und hab mir immer Illusionen gemacht.
Wovon träumst Du noch?
Family first ist meine Devise. Die Kinder sind nur einmal klein und ich möchte soviel wie möglich Zeit mit diesen herrlichen Wesen verbringen. Vielleicht leben wir mal eine Zeitlang in einem anderen Land. Vielleicht machen wir eine gemeinsame Wohnmobilreise. Oder wir machen Recherchereise fürs nächste WOW Museum. Oder auch nur Familienzeit. Wer weiss schon was der nächste Tag uns bringt.