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Tadah

Tanja Forcellini: einatmen, ausatmen.

Tanja wurde während einer Indien-Reise schwanger. Heute ist Kailash fast 13 Jahre alt, Tanja praktiziert und lehrt noch immer Yoga und Meditation und organisiert Retreats. Warum sie als Alleinerziehende alles andere als allein ist und wie sehr ihr Yoga Augen, Ohren und Geist geöffnet hat, erzählte sie im grossen Tadah Interview.

 


Dieser Beitrag entstand in Kooperation mit unseren Partnern von

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Tanja Forcellini ist Vollblut-Yogi, unterrichtet Yoga und Meditation, ist spezialisiert auf Hormon-Yoga und Mutter eines fast 13-jährigen Sohnes, mit dem sie etwas andere Familienwege geht.
yogatanja.com

Tadah: Du bist Yogi mit Fleisch und ziemlich viel Herzblut. Erzähl, wie kam es dazu?
Yoga hat mich gefunden, ich habe es nicht gesucht. Ursprünglich komme ich aus der Reisebranche mit einem etwas längeren Zwischenstopp in einer Fundraising-Agentur. Ich habe Yoga auf Reisen entdeckt, beziehungsweise es mich. Ich wollte nämlich einen Monat intensiv Yoga machen, traute mich aber nicht allein nach Indien. Also bin ich in Thailand gelandet, in einem Teachers-Training. Dort hat es mir den Ärmel reingenommen, weil ich merkte, es ist nicht nur Turnen auf der Matte – da steckt eine ganze Philosophie dahinter.

Und welcher Part der Yoga-Philosophie hat Dich besonders angesprochen?
Die Stille. Das Gewahr-Sein. Die Meditation. Der Gegenpart des Bewegungsfreudigen, des Spielerischen des Yoga. Ich stamme aus einer eher lauten, italienischen Familie. Aber es hat mich immer etwas gestört. Ich fand immer, es ist viel zu laut und viel zu viel Zirkus um Dinge, die gar noch nicht eingetroffen beziehungsweise nicht so dramatisch sind. Auf meinem Yoga-Weg habe ich gelernt: Auch wenn etwas Unangenehmes geschieht, kann man jederzeit innehalten und atmen, das bringt dann oft Klarheit und Beruhigung ins Drama. Und dann geht es in die nächste Runde auf dem Karussell.

 

Ich wusste, ich habe jetzt eine Aufgabe. Diese Aufgabe ist nicht, in einem Ashram zu sitzen und zu meditieren.

 

Dein Yoga-Weg führte immer wieder nach Asien?
Ja, ich ging immer wieder nach Asien in Ashrams und in Yoga-Schulen. Indien hat mich immer wieder total überfordert, aber ich war selten so präsent wie dort. Da muss man ja auch voll fokussiert sein, nur schon, damit man eine Strasse heil überquert.

Und daheim hast Du Dich selbständig gemacht?
Selbständigkeit stand gar nicht auf meinem Plan. Ich hatte nie den Wunsch dazu, weil ich immer grossartige Arbeitgeber hatte. Irgendwann hatte ich das Bedürfnis, die Yoga-Philosophie und die Meditation zu vertiefen. Ich kam also an in diesen idyllischen familiären Ashram, direkt am Ganges in Nordindien und dachte: Das ist es jetzt, hier werde ich alt. Hier will ich bleiben. Aber anscheinend hatte das Leben einen anderen Plan mit mir.

Der da wäre?
Zurück in Zürich merkte ich, dass ich schwanger bin. Ich musste mich zwischen der Schweiz und Indien entscheiden. Also zwischen Alleinerziehen oder Zurückgehen nach Indien zur Familie des Kindsvaters, die einen Ashram führt.

Aus einem inneren Ruf heraus habe ich mich für meine Familie und meine Freunde in der Schweiz entschieden. Ich wusste, ich habe jetzt eine Aufgabe. Diese Aufgabe ist nicht, in einem Ashram zu sitzen und zu meditieren. Kailash kam 2008 hier in der Schweiz auf die Welt. Das neue Abenteuer begann.

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Du bist mit Deiner Familie einen eigenen Weg gegangen. Erzähl!
Wenn Du so einen Menschen kennenlernst wie Kailashs Vater, der in einer spirituellen Lebensgemeinschaft wie einem Ashram gross wird, der so eine starke Aufgabe hat, den kann man nicht entwurzeln. Wir haben ein paarmal hin und her diskutiert, ob er hierherkommt oder ich nach Indien ziehe. Wir hatten das grosse Glück, dass Kailashs Grossmutter vaterseits Deutsche und Teil der 68er-Hippie-Bewegung war. Somit hat auch Kailashs Vater den deutschen Pass. So wusste ich, dass er uns besuchen kommen kann. Und so kam es auch: Er kommt einmal im Jahr zu uns. Und wir gehen wenn möglich jährlich in den Ashram.

 

Hinter und neben mir steht eine Horde Menschen.

 

Wie geht es Dir dabei, alleinerziehend zu sein?
Ich bin es nicht. Ich bin nicht allein. Kailash hat ein Geschenk bekommen: einen zweiten Vater. Den gibt es seit seinem ersten Lebensjahr, eigentlich sogar seit seiner Geburt. Als ich 30 war und das Kind erwartete, bot mir mein ehemaliger Lebenspartner und guter Freund an, mich zur Geburt zu begleiten. Eine Geburtsbegleiterin und er kamen dann mit. Seit dem Moment ist er für Kailash da – regelmässig und absolut zuverlässig und liebevoll. Kailash hat somit zwei Papis. Es ist aber nicht nur der Zweitpapi, der mich unterstützt: Hinter und neben mir steht eine Horde Menschen.

Das klingt schön. Aber ist es das auch immer? Ein schönes Gefühl?
Es ist teils äusserst anspruchsvoll, aber eine Bereicherung. Wenn man sich trennt und dann allein da steht mit Kind, dann fehlt ein Puzzleteil im Familienkonstrukt. Mir fehlte nie eines, ich wurde mit einem zusätzlichen Puzzleteil beschenkt – das ist ein riesiger Unterschied.

 

Mir fehlt kein Puzzleteil.

 

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Was hat sich verändert, als Kailash in Dein Leben trat?
Während den Jahren vor der Geburt habe ich intensiv Ashtanga Yoga praktiziert. Diese Art von Yoga stammt aus Südindien und wird früh am Morgen geübt. Ich dachte, irgendwann kommt der Tag, an dem ich unglücklich sein werde, weil ich nicht mehr fünf Mal die Woche auf der Matte stehen kann. Dem war aber nicht so. Mein Fokus, meine Prioritäten veränderten sich. Das ist ja auch die Message von Yoga: Nicht Dingen anhanften. Alles kommt und vergeht auch wieder. Flexibel bleiben: nicht nur auf der Matte, sondern mitten im Leben. Es ist alles im Fluss.

 

Ich kann ja nicht Sachen teilen, die ich nicht selbst lebe.

 

Wie gelingt es Dir, in Deinem Alltag genug Zeit für Dich zu finden?
Ich habe glücklicherweise einen sehr guten Sinn für Organisation und ein gutes Händchen in Sachen Zeitmanagement. Heisst: Ich lebe selten einfach mal so in den Tag hinein. Glücklicherweise geht mein Plan meistens auf und wenn es anders kommt, fühlt es sich oft auch passend an. Zudem nehme ich mir regelmässig meine «Me Time» heraus. Ich gehe alle zwei Wochen in die Massage und integriere auch die Meditation in meinen Familien- und Berufsalltag.  Ich habe ein sehr selbstfürsorgliches Umfeld, was mich ermutigt, mir immer wieder Pausen zu nehmen. Ich kann ja nicht Sachen teilen beziehungsweise lehren, die ich nicht selbst lebe.

Ein ganz wichtiger Punkt ist auch: Ich habe immer geschaut, dass ich mir Zeit nehmen kann für mich, weil es mich braucht in diesem Familienkonstrukt. Ich kann ja nicht einfach im Bett liegenbleiben und sagen «Schatz, übernimmst du heute…». Also schaue ich gut darauf, dass ich körperlich und mental gesund bleibe.
Ich bin sehr dankbar für meinen Beruf und den damit verbundenen Lebensstil. Dank den Yoga-Retreats, die ich organisiere, habe ich sogar während meiner Arbeitszeit einen Ausgleich, ein Auftanken, eine Pause.

Was ist Dein perfekter «Me Time»-Moment?
Er ist dann, wenn ich mich verbunden fühle mit allem was ist. Mit Mutter Erde und Vater Himmel, mit den Elementen, den Menschen um mich herum und einen guten Draht zu mir selber habe – und das auch mitten im Gewusel das Alltages.

Wie sieht ein Tag bei Tanja Forcellini aus?
Obwohl ich ja keinen typischen Alltag mit festen Arbeitszeiten habe, beginnt doch fast jeder Tag gleich: Mein Wecker klingelt um 05:45. Ich brauche Vorlaufzeit, bevor ich Kailash wecke. Ich brauche diese Stille für mich morgens, wenn der Tag noch klar, unangetastet und ruhig ist. Langsam und achtsam in den Tag zu starten, bedeutet mir viel und beeinflusst oft den Rest meines Tages.

Du lebst ein bewusstes Leben und achtest auf Dich, viel Bewegung und eine gesunde Ernährung. Welches sind die Dinge, Die Dir auch in der Erziehung Deines Sohnes wichtig sind?
Dass man immer seinem Herzen folgen soll, egal ob das nun konventionell ist oder nicht. Unsere Familienkonstellation haben wir uns nirgends abgeschaut. Die hat sich so ergeben beziehungsweise wurde uns so geschenkt und es scheint mir, alle fühlen sich wohl darin, auch wenn es immer wieder viele Gespräche zwischen allen Teilnehmenden und deren Bedürfnisse benötigt.

 

So entsteht für alles eine Lösung und dahinter ein Weg.

 

Wenn man Kailash fragen würde, dann fände er es zwar stinknormal, wie wir leben, weil es sich für ihn gut anfühlt, er gesehen wird und sich entfalten kann. Es ist mir wichtig, dass er auf seine innere Stimme hört. Auch wenn die innere Stimme mal etwas Unbekanntes, Fremdes sagt, dann soll man länger hinhören. Ich wünsche mir, dass Kailash auch bei unangenehmen Lebenssituationen gut hinhorcht um ausfindig zu machen, was das mit ihm macht. So entsteht für alles eine Lösung und dahinter ein Weg.

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Als Corona kam, wurde da Dein Gefüge auf den Kopf gestellt?
Ich habe das grosse Glück, dass ich nebst meiner Selbständigkeit auch in einem 50%-Pensum bei einem Zürcher Yoga-Studio angestellt bin. Somit war auch ich auf Kurzarbeit, mein Lohn war gewährleistet. Ich habe zudem drei Yoga-Shops in Yoga-Studios und aufgrund der Solidaritätswelle, die damals entstand, lief das eigentlich ganz gut weiter mit unserem Online-Shop, aber auch mit den online Klassen und Workshops. Man kann aber auch sagen, dass ich einen bescheidenen Lebensstil habe mit geringen Fixkosten. Klar gab es Momente, da dachte ich: Wenn jetzt alle Pfeiler wegbrechen, dann muss ich mich beruflich wohl neu erfinden, bloss: als was? Was kann ich denn sonst noch? Diese Gedanken haben mir schon auch ab und zu den Schlaf geraubt.

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Wie beurteilst Du die Situation der Vereinbarkeit von Job und Familie in der Schweiz?
Mein Herz sagt: Eigentlich müsste man nicht alles unter einen Hut packen können. Wir sollten weg vom Multitasking, hin zu mehr Achtsamkeit und Präsenz. Der grosse Stress ist vielleicht, den Fünfer und das Weggli zu wollen. Und irgendwie ist es doch schwierig: Man kann nicht mehrere intensive Sachen gleichzeitig machen. Beziehungsweise man kann es schon – bis es einen erschöpft.

Das Vater und Mutter am liebsten arbeiten und viel Zeit mit den Kindern verbringen möchten, kann ich gut nachvollziehen, aber meine Beobachtungen und Erfahrungen haben gezeigt, dass dies eine enorme Doppelbelastung bedeutet. Wenn beide im Teilzeitpensum arbeiten und sich auch noch zusätzlich beide um den Familienalltag kümmern, benötigt das viel Organisation und auch viele Gespräche, um sich regelmässig upzudaten und dabei seine eigenen Bedürfnisse nicht zu vergessen. Es gibt wohl kein Geheimrezept dafür, aber vielleicht würde es sich lohnen, ab und zu auf etwas zu verzichten, denn weniger ist bekanntlich mehr.

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Betreuungssituation:
Tanja arbeitet viel, aber unregelmässig. Kailash ist einen halben Tag pro Woche und jedes zweite Wochenende bei seinem Zürich-Papi und mit fast 13 schon recht selbständig. Einen Mittag kocht Nonno, Tanjas Vater, für Kailash. Früher war Kailash in der KiTa, regelmässig bei Tanjas Familie und später im Hort.


Bilder von Dominic Wenger