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Tadah

Stefanie Steiner: über Herzfehler, Herzblut und eine Herzenssache.

2012 wird Stefanie Steiner zum zweiten Mal Mutter. Und plötzlich steht ihre Welt Kopf. Denn ihr Sohn Nael hat nur ein halbes Herz. Wie sie als Familie diesen steinigen Weg meistern, sie als Person stärker wurde und nebenbei auch noch ein Unternehmen führt, erzählt sie uns im grossen Tadah Interview.

Bilder von Maik Kanyanga.

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Stefanie Steiner ist Inhaberin und Geschäftsführerin von littlefeet. In ihrem Onlineshop gibt es Plotterfolien und Kinderstoffe für kreative Projekte. Zudem vertreibt sie Schuhe und Accessoires für Babys und Kleinkinder. Sie lebt mit Nael (7), Malea (10) und ihrem Partner Rolf in Oberrohrdorf.
littlefeet.ch

Tadah: 2010 wurdest Du zum ersten Mal Mutter. War alles so, wie es Du Dir vorgestellt hast oder bist auch Du ein wenig auf die Welt gekommen?
Ich hatte mit meiner Tochter eine schwierige Schwangerschaft. Denn ich musste früh und lange liegen und hatte eine schwere Geburt. Für mich war es also nicht ganz so einfach. Ihr ging es aber immer hervorragend und sie war ein richtiges «Anfängerbaby». Als ich dann aber zurück in meinen Job ging, verlief dies nicht so wie vorgestellt. Und auch nicht wie abgemacht.

Wieso nicht?
Mein damaliger Chef hat während meiner Abwesenheit die Firma verlassen und von der mündlich besprochenen Pensumsreduktion wollte plötzlich niemand mehr etwas wissen. Mit dem alten Pensum wieder einzusteigen war aber keine Alternative für mich.

Was hast Du also gemacht?
Ich habe mich kurzerhand selbständig gemacht.

Es war der Anfang von littlefeet – erzähl!
Unsere Tochter mochte keine Schuhe und hat diese immer ausgezogen – auch bei Schnee und Minusgraden. Es musste also eine Lösung her. Auf der Suche nach Alternativen stiess ich auf die kanadische Marke Stonz. Nach den ersten Trageversuchen waren wir total begeistert.

Ein Geschäft also, welches aus einer eigenen Problemstellung entstanden ist?
Ja, genau. Ich habe dann für ein paar befreundete Mamis ebenfalls Booties bestellt, denn ich wusste ja: Viele kleinen Kinder sind so und somit sind viele Mütter auf der Suche nach Winterschuhen. In einer Nacht und Nebel Aktion habe ich daraufhin einen kleinen, simplen Webshop erstellt. Ein Name musste her. Und auch hier, kam es einfach so auf mich zu. Booties für kleine Füsse – little feets –, wieso weit suchen, wenn das Gute doch so nahe liegt.

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Zwei Jahre später wurdest Du wieder schwanger. 2012 kam Nael auf die Welt. Und Eure Welt veränderte sich.
Nach der schwierigen ersten Schwangerschaft und zwei Fehlgeburten waren wir glücklich, dass es nochmals geklappt hat. Aber bereits beim Ersttrimestertest wurde die Befürchtung geäussert, dass etwas nicht stimmt. In der 19. Woche dann war klar, dass Naels Herz massiv fehlentwickelt ist.

Wie ging es weiter?
Wir wurden vor die Wahl gestellt, die Schwangerschaft abzubrechen, Nael nach der Geburt ohne Eingriffe sterben zu lassen oder ihn durch mindestens drei palliative Operationen zu begleiten, um ihm eine Chance aufs Leben zu geben.

Nael hat nur ein halbes Herz. Kannst Du uns das erklären?
Nael fehlt die linke Seite seines Herzens – er hat nur einen Vorhof und eine Herzkammer – statt jeweils deren zwei. Die Aorta, also die Hauptschlagader, war stark unterentwickelt und die Aortenklappe nicht funktionsfähig.

 

Und man gewöhnt sich nie daran. Auch nicht nach Jahren, wenn man schon unzählige Male an der Schleuse stand und einen letzten Kuss gibt – nie zu wissen, ob es diesmal vielleicht wirklich der letzte ist.

 

Wie habt Ihr darauf reagiert? Bricht man nicht erstmal einfach nur in Panik aus?
Panik hatte ich nie. Ich hatte Angst und ich war unendlich traurig. Ich habe alles an Informationen und Fachlektüre gelesen, was ich finden konnte – dies gab mir etwas Sicherheit, an der ich mich halten konnte, in der ganzen Ungewissheit. Ich habe mich mit anderen Betroffenen ausgetauscht und versucht, das Beste aus der Situation zu machen und die Schwangerschaft doch irgendwie auch noch zu geniessen. So lange er in meinem Bauch war, ging es ihm ja gut.

Du sagst jeweils, Du seist froh gewesen, von der Erkrankung gewusst zu haben. Wieso? Kann man sich auf sowas überhaupt vorbereiten?
Nein, man kann sich nicht vorbereiten. Nicht auf diesen Anblick seines Kindes an Schläuchen und Kabeln. Nicht an all die Zugänge, an den offenen Brustkorb, die Monitore, die Ungewissheit. Und nicht auf das Warten. Das tage- und wochenlange Warten darauf, ob die Werte besser werden, ob das Kind selbst atmet, ob es wieder aufwacht. Aber durch das Wissen des Herzfehlers konnten wir Nael den bestmöglichen Start ins Leben geben. Die Ärzte im Unispital und im Kispi standen bereit, alle wussten, was zu tun ist.

Bereits nach neun Tagen auf der Welt musste Dein Sohn das erste Mal an der Herzlungenmaschine operiert werden. Was war das für ein Gefühl? Wie schwer war es, voll und ganz auf Ärzte und Pflegepersonal zu vertrauen und sein Baby aus den Händen zu geben?
Dieses Gefühl lässt sich nicht beschreiben. Und man gewöhnt sich nie daran. Auch nicht nach Jahren, wenn man schon unzählige Male an der Schleuse stand und einen letzten Kuss gibt – nie zu wissen, ob es diesmal vielleicht wirklich der letzte ist.

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Wie ging Naels Geschichte weiter?
Neben vielen kleineren Eingriffen wurde Nael dann mit knapp vier Monaten und mit drei Jahren weitere Male am offenen Herzen operiert. Beide Male gab es grosse Komplikationen, beide Male musste er um sein Leben kämpfen und hat es nur ganz knapp geschafft. Heute geht es ihm besser als jemals von den Ärzten erwartet oder vorhergesagt. Und wir sind dankbar für die gute Zeit, die wir mit ihm verbringen dürfen.

Wie war es für Euch als Familie mit dieser Erkrankung umzugehen?
Die ersten zwei Jahre waren sehr schwierig. Zuerst neun Monate – mit nur kleinsten Unterbrüchen – im Kispi, anschliessend ein Kind mit Magensonde und Sauerstoff zu Hause. Es ist ein 24-Stunden-Job. Wir liefen oft am Anschlag und es brauchte eine ganze Weile um wieder «normal» zu funktionieren als Familie. Heute wissen wir, dass wir alles irgendwie schaffen können.

Lernt man seinen Partner in solchen Situationen anders – besser – kennen?
Wir kannten uns vorher schon sehr gut und waren zum Glück immer gleicher Meinung, wenn es um medizinische Entscheidungen ging. So konnten wir uns gegenseitig stützen. Ich habe da auch anderes gesehen auf den Stationen und war und bin dankbar, dass wir keine solchen Situationen hatten.

 

Malea hat die Trennung von mir nicht so sehr zu schaffen gemacht, viel mehr hatte sie Angst um ihren Bruder. Für sie war wichtig, dass sie regelmässig mit nach Zürich durfte und sah, wo ihr Bruder war und wie es ihm ging.

 

Es drehte sich lange Zeit alles um Nael. Doch da war ja auch seine Schwester. Wie war das für Malea? Wie habt Ihr sichergestellt, dass auch sie in dieser stürmischen Zeit genug Aufmerksamkeit bekam?
Es lässt sich schlicht nicht vermeiden, dass ein Geschwisterkind in dieser Anfangszeit zu kurz kommt. Meine Mutter hat meist unter der Woche bei uns gewohnt, so dass ich Malea jeweils am Morgen und oft noch kurz beim Nachtessen sah und ins Bett bringen konnte. Die restliche Zeit des Tages war ich bei Nael im Spital, bis mein Mann mich abends nach der Arbeit abgelöst hat. Er blieb dann bei Nael, bis dieser eingeschlafen war. Malea hat die Trennung von mir nicht so sehr zu schaffen gemacht, sie war nie ein typisches «Mama-Kind», viel mehr hatte sie Angst um ihren Bruder. Für sie war wichtig, dass sie regelmässig mit nach Zürich durfte und sah, wo ihr Bruder war und wie es ihm ging.

Wie geht es Euch heute?
Heute haben wir eigentlich einen relativ normalen Familienalltag. Nael braucht aufgrund der geistigen Behinderung mehr Aufmerksamkeit. Bei Infekten müssen wir rascher reagieren, damit das Herz nicht zu sehr belastet wird. Im Grossen und Ganzen leben wir also vielleicht etwas anders, aber es ist auch wieder Normalität eingekehrt.

Neben zwei Kindern und einer Firma hast Du auch noch einen Verein aufgebaut. Der Verein Fontanherzen Schweiz unterstützt betroffene Eltern, bietet Information und fördert den Austausch. Wie kam es dazu?
Uns hat während der Schwangerschaft und der Zeit im Spital der Austausch mit anderen Familien gefehlt. Das können wir werdenden Eltern heute anbieten. Es ist uns ebenfalls möglich, Familien finanziell zu unterstützen. Sei dies in Krisensituationen aufgrund langer Hospitalisation und dadurch fehlendem Einkommen oder auch für Hilfsmittel, Reha-Aufenthalte und ähnliches, das nicht von der IV finanziert wird.

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Wie geht es dem Kind Nummer 3 heute – also littlefeet? Da gibt es heute ja weit mehr als «nur» Winterstiefel. Wie kam es dazu?
Ja tatsächlich. Aus den paar Winterbooties im Keller wurde ein 400qm Lager. Wir vertreiben die Stonz Booties weiterhin in den Detailhandel. Hinzugekommen ist aber ein riesiges Sortiment aus dem Kreativbedarf, hauptsächlich im Bereich Nähen und Plotten. Da bin ich nach der Geburt von Nael so ein bisschen reingeschlittert – fix arbeiten war nicht möglich, etwas zu tun war mir aber wichtig. Also habe ich den Shop abends weiter ausgebaut und plötzlich hat es sich rasant entwickelt.

 

Ich erziehe meine Kinder zu Selbständigkeit und Eigenverantwortung. Dies fordere ich tatsächlich auch von meinen Angestellten.

 

Du hast bei littlefeet drei Teilzeitangestellte – alles ebenfalls Mütter. Wie funktioniert Ihr als Team? Seht Ihr Euch regelmässig??
Aufgrund des grossen Wachstums musste ich dann jemanden anstellen. Denn alleine war die Arbeit nicht mehr zu bewältigen. Inzwischen sind wir zu viert – zwei im Lager, die für den Versand und die Warenbewirtschaftung zuständig sind, jemand der sich um den Socialmedia-Bereich und unseren Blog und die Workshops kümmert und ich selbst. Ich mache hauptsächlich Einkauf, Marketing, Kundenanfragen und alles was halt noch so anfällt. Wir sehen uns alle regelmässig und haben ein sehr freundschaftliches Verhältnis untereinander.

Führst Du Deine Angestellten gleich, wie Du Deine Kinder erziehst – siehst Du da gewissen Parallelen?
Das ist eine interessante Frage, die ich mir so noch gar nie gestellt hab. Ich erziehe meine Kinder – beide im Bereich ihrer persönlichen Möglichkeiten – zu Selbständigkeit und Eigenverantwortung. Dies fordere ich tatsächlich auch von meinen Angestellten.

Wie geht es Dir als Geschäftsfrau, wie als Mutter heute?
Ich bin happy, mein eigener Chef zu sein und ein tolles Team um mich zu haben zu dürfen. Beides erlaubt es mir, Job und Familie unter einen Hut zu bringen. Meine Kinder haben mich verändert und besonders Nael hat mich gelehrt, die kleinen Dinge zu schätzen, Geduld zu haben, den Mut nie zu verlieren. Ich fühl mich wohl, da wo ich heute bin.

Betreuungssituation:
Stefanie arbeitet während die Kinder in der Schule sind – und nicht selten erledigt sie abends noch das, was tagsüber liegengeblieben ist. Nael geht in eine heilpädagogische Schule, isst dort zu Mittag und kommt gegen 15 Uhr nach Hause. Malea geht einmal die Woche in den Mittagstisch. Rolf arbeitet 100%.