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Tadah

Multitasking my ass: ein Selbstversuch für mehr Achtsamkeit.

Uns Frauen wird die Fähigkeit zum Multitasking nachgesagt. Also müssen wohl auch wir diejenigen sein, die sie wieder abschaffen. Singletasking ist das neue Ich-kann-alles-aufs-Mal, Achtsamkeit eine Revolution. Aber: Kann ich mich auf nur eine Sache konzentrieren, wenn ich mehr als ein Kind zum Trösten und mehr als nur eine Kaffeetasse zum Abspülen habe?
Letzthin zum Beispiel stürzte meine ältere Tochter die Treppe vor unserem Haus herauf, während ich mit Baby, Einkaufstüten im und Schweissausbruch unterm Arm vor der Haustür stand. Selbstverständlich fand ich den Schlüssel nicht innert nützlicher Frist, das Baby begann ebenfalls zu weinen, während ich das Kinn der Älteren samt ihren Tränen mit dem Taschentuch notdürftig versorgte. Ich fragte mich, wie ich denn als Mutter überleben will, wenn ich bereits bei den Mami-Multitasking-Basics – Schlüsselsuche, Einkaufstüten und Babyhalten sowie gleichzeitiges Kleinkind-Trösten – kläglich versage.

Eins nach dem anderen, sagte ich mir und beschloss, genau dies zu meinem neuen Mantra zu machen. Ein Tag Singletasking im Praxistest. Mein Protokoll zum Selbstversuch:

07:00 Baby statt Baby-App
Mein Wecker schrillt, beziehungsweise: mein Baby weint. Ich hole es zu mir ins Bett und will sogleich das Handy checken. Ein Reflex meines Multitasking-Gens. Aber heute ist nicht Wettercheck und Babyknuddeln. Als ich mich fünf Minuten ausschliesslich meiner kleinen Tochter widme, fällt mir auf, dass ich ansonsten dauerabgelenkt bin, was mich regelrecht beschämt. Ich liege im Bett und rieche an der Babyhaut, beisse in ihren kleinen Zeh, lache mit ihr und versuche in dieser Morgenstunde wettzumachen, was das Los des Zweitgeborenen ist: nicht mal im Ansatz dieselbe ungeteilte Aufmerksamkeit zu erhalten wie das Erstgeborene.

07:30 Aus Meditation wird Mamitation
Die Königsdisziplin des Singletaskings: Sich einzig auf die Person zu konzentrieren, die lange Zeit etwas zu kurz kam: auf mich. Also meditiere ich. Ich atme tief ein («Maaaami, ich will ääääässsäää!») und wieder aus («Maaamiii, ich will au medischere!»). Aus fünfzehn Minuten werden nur fünf. Aber es war gut, mir diese Minuten gegönnt zu haben.

10:00 Interaktion statt iPhone
Im Bus sitzt auf jedem Platz ein iPhone. Und hinter ihm dessen Besitzer. Ausser uns selbst und einem älteren Herrn ist jeder Fahrgast am Mobiltelefon. Wir kommen ins Gespräch mit dem Mann, weil meine Tochter mich fragte: «Mami, wo hätt dä Maa sis Handy?» Wir schauen aus dem Fenster. Plötzlich sehe ich meine Stadt ein bisschen mehr wie meine Töchter: Weil ich sie mir bewusst anschaue.

11:00 Die Sache mit dem Regen
Wir werden überrascht vom Regen, da ich vor lauter Achtsamkeit unachtsam war und die Wetter-App nicht zurate gezogen habe. Des Weiteren habe ich mich beim Aus-dem-Haus-Gehen aufs Znüni-Einpacken konzentriert. Danach aufs Nuggiverstauen, Ersatzkleider eintüten, Milchpulver abfüllen. Aber wo ist die Regenjacke? Wir geniessen also den Regen.

12:00 Zmittag kochen, geschehe, was wolle
Während ich koche, ist es verdächtig still im Spielzimmer nebenan. Ich denke: Sie planen jetzt etwas ganz Schreckliches, oder noch schlimmer: Sie tun bereits etwas ganz Schreckliches. Aber: Ich koche jetzt! Irgendwann packt mich trotzdem die Panik und ich gehe nachschauen. Die Grosse malt – entgegen meiner Befürchtung – nicht an die Wand oder auf das Baby, sondern auf ein Blatt Papier. Sie malt Regentröpfli und uns drei darunter.

15:00 Zuhören statt mitreden
Zvieri: Apfelschnitze und Guetsli. Meine Tochter erklärt mir gerade, weshalb sie unmöglich Äpfel essen kann. Normalerweise würde ich sie jetzt wohl unterbrechen und ihr erklären, dass sie jetzt das Öpfeli essen soll und ich nicht darüber diskutieren mag. Heute höre ich nur zu, und ihre Erklärung ist wirklich kreativ. Sie könne unmöglich Äpfel zu sich nehmen, «wills ihne weh macht, wenn ich ine bisse, weisch Mami». Fair enough.

17:00 Die Stimmung kippt: Chasperli muss her
Wer Kinder hat, die seit kurzem keinen Mittagsschlaf mehr machen, weiss: Jetzt wirds ungemütlich. Wir legen die Chasperli-CD ein und Kissen aus. Der Plan: Einen ganzen Chasperli lang nur dem Chasperli zuhören – ohne Ablenkung, ohne Unterbrechung. Das gilt besonders für mich. Irgendwie fies; der Chasperli ist in meiner Erinnerung viel lustiger. Meine Tochter ist selig. Und ich merke, wie entspannt ich bin, im Gegensatz zu anderen Tagen um
diese Uhrzeit.

19:30 Wir konzentrieren uns jetzt aufs Schlafen!
Es ist Zeit, dass nun auch meine grosse Tochter das Singletask-Prinzip kennen lernt. Das so heisst: schlafen. Nein, nicht das dritte Büechli anschauen. Nein, nicht mit dem Häsli reden. Nein, nicht noch mehr zu trinken bestellen. Schlafen. Es klappt nicht. Also erzähle ich ihr vom Tag, an dem Mami nur etwas aufs Mal getan hat. Das wiederum scheint nicht nur mich zu beruhigen: Sie schläft ein.

21 Uhr Fazit
Ich habe mich meinem Baby gewidmet, habe den Tag mit fünf Minuten nur für mich begonnen. Bin bewusst durch meine Stadt gefahren, habe den Regen genossen, in Ruhe Mittagessen gekocht, meiner Tochter und dem Chasperli zugehört. Ich habe meinem Mädchen ausführlich von unserem Tag erzählt. Das alles äusserst bewusst, ohne Ablenkung. Der Tag war grossartig.


Dieser Artikel erschien im Mama Blog des Tages Anzeigers.