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Tadah

Frau Ordnung: Eine Frau räumt auf.

Martina Frischknecht ist Ordnungscoach. Und die einzige Frau, die wir kennen, die jedes einzelne Stück in ihrem Kleiderschrank gerne anzieht. Jedes einzelne! Im grossen Tadah-Interview weiht uns Frau Ordnung, wie sie sich nennt, in ihre Geheimnisse ein.

Bilder von Julia Bochanneck / julia.design 

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Martina Frischknecht ist Frau Ordnung und hat somit das Chaos im Griff. Seit 2014 ist sie als selbstständiger Aufräumcoach unterwegs und sortiert Socken, entrümpelt Garagen und berät in allen Fragen rund ums Chaos. frauordnung.ch

Tadah: Ordnung machen kann jeder, Ordnung halten ist schwer.
lacht. Ja, so ist das bei den meisten. Dabei ist Ordnung nicht das eigentliche Problem. Das Zauberwort ist optimieren. Es ärgert beispielsweise masslos, wenn Dinge im Weg rumstehen, man einen Umweg machen muss, um irgendwo hin zu kommen oder man erst etwas wegräumen muss, um an das Gewünschte zu gelangen. Die meisten Kunden buchen mich genau wegen diesen Problemen: Sie haben zu viele Sachen. Und viele Dinge haben einfach keinen Platz zugewiesen bekommen und werden hin und her geschoben.

Wie schafft man also Platz?
Man muss lernen, sich von Dingen zu lösen oder ihnen einen Platz zu schaffen, ein Zuhause.

Einfach gesagt.
Ich weiss, aber es ist nicht schwer. Fangen wir beim Platz schaffen an. Hier ist die Lösung: Entrümpeln und gliedern. Nehmen wir das Büro – ein klassischer Ort für Unordnung. Man muss sich also fragen: Was will ich hier tun? Und dies auf einige wenige Dinge beschränken. Ich habe mir zum Beispiel gesagt, ich will Päcklis einpacken, als Frau Ordnung arbeiten, nähen und Plottern. Ich habe also vier Haufen zu diesen Themen gemacht und diese gegliedert und aufgeräumt. Alles, was nicht dazugehörte, kam weg. Oder aber die Küche: Kaufen Sie lieber öfters ein und verzichten Sie auf Aktionen und Doppelpackungen, ansonsten verlieren Sie vielleicht schnell den Überblick und müssen Esswaren wegwerfen, da sie abgelaufen sind.

 

«Ja, das ist die Unterhose, die immer rutscht»  – weg damit.

 

Wie funktioniert denn so ein Coaching bei Frau Ordnung?
Ich setze mich mit dem Kunden hin und analysiere das Problem, höre zu, was er sich wünscht, was er sich erhofft. Mir ist auch wichtig zu hören, was sich der Kunde von einem Coaching und mir als Person vorstellt. Wenn es für beide passt, machen wir einen Termin ab oder packen sofort an. Ganz nach Kundenwunsch. Beim Kleiderschrank zum Beispiel ist es so, dass wir erst mal alles auf das Bett legen. Die gesamte Unterwäsche, alle Socken… Viele Leute merken erst dann, was sie eigentlich alles besitzen. Und sie merken dann auch, dass immer dieselben Stücke nicht getragen werden. «Ja, das ist die Unterhose, die immer rutscht»  – weg damit. «Diese Socken sind hinten schon ein wenig durch – das nervt eigentlich» – weg damit.

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Warum fällt es uns so schwer, Dinge loszulassen?
Wenn man etwas loslässt, kommt eine Übergangszeit. Da kann es vorkommen, dass man sich «nackt» fühlt. Für viele Kunden ist dies die eigentliche Hürde. Loslassen, ohne zu wissen, was danach kommt. Aber wenn man das aushalten kann, wenn man Vertrauen hat in sich, dass das Richtige kommt, dann tut es einfach nur gut und schafft Platz für Neues. Wichtig beim Loslassen: Es hat viel gekostet, es war mal wichtig für mich, es hat einen emotionalen Wert – das sind alles Loslass-Fallen.

Warum?
Viele Leute behalten Dinge, die ihnen Energie rauben, die ihnen nicht gut tun. Ich hatte kürzlich eine Kundin, die hatte ein Foto von ihrem Exmann rumstehen. Als ich fragte, ob sie ein gutes Verhältnis hatten, sagte sie nur: «Oh nein, eine schwierige Ehe!» Warum sie diese Foto behalten hat? Weil man Fotos nicht wegschmeisst, weil es einen schönen Rahmen hatte. Ich habe ihr gesagt: «Das muss weg!» Oft herrscht eine «Betriebsblindheit. Man sieht Dinge gar nicht mehr. Diese mit einem neutralen Coach zu entrümpeln ist daher um einiges einfacher und effizienter.

Und dieses Foto kam weg?
Ja, natürlich. Das ist wichtig. Die Leute haben Angst loszulassen. Sie haben Angst, dass mit dem Weggeben auch die Erinnerung verschwindet. Aber das stimmt nicht. Erinnerungen sind im Herzen und bleiben da für immer. Sie hängen nicht an Gegenständen.

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Woher kommt dieser Trend und dieses Bedürfnis nach Ordnung?
Ich glaube, das ist historisch bedingt. Unsere Grosseltern haben den Krieg miterlebt und hatten wenig, als sie selbst Kinder waren. Als der Krieg vorbei war und man sich wieder ein bisschen etwas leisten konnte, hütete man diese Schätze wie seinen Augapfel. Nie hätte man etwas weggeschmissen – es könnten wieder schlechte Zeiten kommen. Die Generation unserer Eltern erlebte dann den Aufschwung. Statussymbole prägten den Alltag. Man konnte sich wieder etwas leisten. Heute ist es extrem: Man kann alles haben. Über das Internet ist alles bestellbar und in wenigen Tagen bei uns. Mit diesem Überfluss und diesem Überangebot haben wir nicht gelernt umgehen. Die jüngere Generation lernt dies ganz automatisch, denn sie wachsen damit auf.

Buy less, chose well?
Ganz genau. Sie lernen: Es gibt alles, aber ich kann mir aussuchen was ich will und muss nicht alles haben.

Warum haben wir den Drang, immer Neues zu kaufen, wenn wir doch schon so viel haben?
Das ist ganz normal. Man wächst aus gewissen Dingen einfach raus. Du hast ja auch nicht mehr all deine Freunde aus dem Kindergarten. Das ist mit unseren Sachen ganz ähnlich. Das Leben geht weiter, es verändert sich. Und so passt einfach nicht mehr alles. Aber auch hier wieder: Erst nachdenken, dann kaufen.

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Hand aufs Herz: Wie sieht die Ordnung bei euch im Kinderzimmer aus?
Lacht. Heute super! Das ist aber bei weitem nicht immer so. Ich bin da auch nicht so streng mit meinem Sohn. Kinder sollen kreativ sein dürfen und das fällt ihnen in einem sterilen Raum meist schwer. Ich habe aber gewisse Taktiken, die ich bei meinem Sohn anwende, die ganz gut funktionieren.

Raus mit der Sprache!
Wir haben auch hier Platz für Dinge geschaffen. Das heisst, er weiss genau, wo was hingehört und wo er Sachen auch wieder findet. Das schafft eine Art Struktur – auch für ein Kind – wenn es nicht die ganze Zeit immer suchen muss. Zudem haben wir zum Beispiel einen speziellen Platz für seine selbstgemachten Dinge. Wenn er also nach Hause kommt mit einer Bastelarbeit, tun wir die sofort auf das Kästchen, das dafür vorgesehen ist. Hat es da keinen Platz mehr, muss etwas Platz machen.

Und er räumt immer selber auf?
Nein, natürlich nicht. Einmal in der Woche räume ich mit ihm gemeinsam auf. Ich hoffe, er lernt irgendwann zu schätzen, dass Ordnung seine Vorteile hat. Was er aber jetzt schon weiss, ist, dass er nicht zu viele Dinge besitzen kann.

 

Ich habe gewisse Taktiken, die ich bei meinem Sohn anwende, die ganz gut funktionieren.

 

Wie meinst du das?
Er ist jetzt 7 und bekommt von uns Sackgeld. Damit kauft er sich immer wieder Dinge. Kleinigkeiten, aber auch die brauchen Platz. Jedes Mal wenn er mit etwas Neuem nach Hause kommt, sagt ich ihm: «Ok, komm wir schauen zusammen in deinem Zimmer, ob du dafür etwas anderes weggeben kannst, damit das Neue sein Örtchen findet. So hast du immer in etwa gleich viele Dinge und hast daran auch Freude.» Wir schmeissen die Dinge natürlich nicht einfach weg, sondern geben sie weiter oder nutzen sie anderweitig. Es in einer Kinderkleiderbörse zu verkaufen macht übrigens denn meisten Kindern Spass. Dabei sehen sie auch den Sinn dahinter und können einen Teil oder alles der Einnahmen wieder sparen oder investieren.

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Wann hast du gewusst, dass du mit Aufräumen Geld verdienen willst?
Vor drei Jahren war ich mit einer Freundin zum Kaffee verabredet. Wir sassen da, unsere Kinder spielten und plötzlich sagte sie: «Weisst du, ich würde mich gerne als Physiotherapeutin selbständig machen. « Und ich sagte: «Ja, und ich würde gerne bei anderen Leuten aufräumen. » Da dacht ich mir: «Huch! Wo kam das denn her?» Das war einfach so aus mir rausgepurzelt. Seither ging mir diese Idee nicht mehr aus dem Kopf.

Wie ging es dann weiter?
Ich habe unzählige Sommernächte auf dem Balkon verbracht und an einem Konzept gefeilt, habe überlegt und mir dann gesagt: «Was soll‘s, ich probiere es einfach aus!» Ich habe dann meine Webseite selber aufgesetzt, diese online gestellt und dann war da plötzlich meine erste Kundin.

Du hast dich erschrocken?
Ja! Ein wenig. Es war schon komisch. Bis dahin waren meine Eltern oder auch Freundinnen meine Versuchskaninchen. Und jetzt war da plötzlich eine Kundin. Eine, die Geld für meine Dienstleistung bezahlen würde. Man muss aber auch ehrlich zugeben, am Anfang bezahlt man einiges an Lehrgeld.

In welcher Form?
Ich habe beispielsweise einer Kundin mal eine Offerte für das Entrümpeln einer ganzen Wohnung gemacht. Nach kurzer Zeit wurde mir klar: «Das schaffst du nie in der angegeben Zeit.» Oder aber ich begleitete einen Kunden auf Möbelkauf, weil er mich darum bat – kostenlos. Aber so ist das am Anfang. Das gehört dazu.

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Frau Ordnung verdient heute Geld?
Ja, verdient sie. Und es läuft jetzt so gut, dass ich vor wenigen Wochen meinen 30%-Job gekündigt habe, um ich voll und ganz auf Frau Ordnung zu konzentrieren. Ich habe gemerkt, dass ich sonst beides nicht mehr unter einen Hut bringe.

Ein befriedigendes Gefühl?
Und wie. Man muss aber auch sagen, ich habe das Glück und den Luxus keine Familie ernähren zu müssen. Ich darf ausprobieren, mich ausleben. Aber ich freue mich natürlich, wenn ich erfolgreich bin. Und es gibt mir unglaublich viel Energie. Ich habe so viele Ideen für die Zukunft. Möchte Kurse geben, Kolumnen schreiben…

Was ist dein Tipp für eine erfolgreiche Selbstständigkeit?
Manchmal darf man nicht zu viel überlegen. Einfach machen. Und gross denken. Denn nur wer gross denkt, kann auch Grosses erreichen. Es macht so unglaublich viel Spass, dass man nicht einmal merkt, dass man arbeitet. Der grösste Lohn ist also wohl auch die Befriedigung.

 

Ich will nicht mit 80 auf einem Bänkli sitzen und denken: «Hätte ich es doch einfach gemacht!»

 

Kind und Karriere – möglich?
Ich möchte meine Arbeit nicht über mein Kind stellen, oder über die Beziehung zu meinem Kind. Aber ich möchte mich auch verwirklichen. Ich merke, dass ich auch Zeit für mich brauche. Manchmal muss man egoistisch sein. Es ist wichtig, sich Gutes zu tun. Die Selbstständigkeit gibt mir zudem auch eine grosse Flexibilität. Ich bin mein eigener Chef, kann meine Termine um meine Familie herum planen.

Du hast nie Zweifel?
Doch, natürlich. Ich habe Momente, in denen ich denke: «Mache ich es wirklich richtig? Mache ich es gut? Werde ich allen gerecht?» Aber das ist ein Konflikt, den jede Mutter kennt. Das ist das Mutterherz, das in unserer Brust schlägt. Aber ich glaube, wenn ich happy bin mit meinem Job, merkt das auch mein Kind. Das überträgt sich. Ich will nicht mit 80 auf einem Bänkli sitzen und denken: «Hätte ich es doch einfach gemacht.»

 

#tadahtipp Der perfekte Aufräum-Guide in Buchform ist «Magic Cleaning» von Marie Kondo. Und wenn man schon am Ausmisten ist, kann man seine Garderobe auch gleich zur 5-Piece-Garderobe ummodeln. Oder die Wohnung in ein Minimal Home verwandeln.


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