Wie man gleichzeitig ein Kaffee, eine Bar, ein Bistro, eine Pension, eine Kulturstätte, eine Boutique, ein Modelabel und ein Baby managt? Wir haben keine Ahnung. Und genau deswegen haben wir uns mit Claudia Nabholz getroffen.
Claudia Nabholz ist Besitzerin und Geschäftsführerin vom Kaffee Meise in Baden. Zudem designt sie für ihr Label Claudia Nabholz eine Modelinie. Gemeinsam mit ihrem Mann Valentin und ihrer Tocher Nia (8 Monate) lebt sie in Zürich.
fraumeise.ch
claudianabholz.ch
Tadah: Du hast mit Frau Meise Kaffee, Bar, Bistro, Pension, Kulturstätte und Boutique in einem, hast nebenbei noch ein Modelabel, eine Ehe und ein Baby. Deine Welt muss sich unfassbar schnell drehen.
Auch mein Tag hat nur 24 Stunden. Und auch wenn der Hut, den ich mir aufsetze für viele gross erscheint, klappt es ganz gut, alles darunter zu versorgen. Zudem hat Nia geschafft, was vorher noch niemand geschafft hat: Sie hat Ruhe in mich gebracht.
Ein Baby bringt Ruhe? Das musst du uns erklären.
Als ich Valentin kennenlernte haben wir uns sehr schnell, sehr fest verliebt. Wir sind zusammengezogen, haben uns verlobt, geheiratet und auch die Familienplanung war rasch ein Thema. Ich habe aber gemerkt: Ich muss runterfahren. Mein Körper brauchte Ruhe. Wir sind nach der Hochzeit vier Wochen in die Flitterwochen gefahren. Und das waren meine ersten Ferien nach sehr, sehr langer Zeit – es war wirklich Urlaub. Ich habe keine Mails beantwortet. Und ich habe gemerkt, wie gut das tut.
Du wurdest schwanger?
Nicht sofort. An diesen sieben harten Jahren habe ich lange gebissen, habe gekämpft und mein Körper hatte Mühe. Das war der Moment, an dem ich merkete, wie viel ich eigentlich gearbeitet hatte.
Entschleunigt hast Du also schliesslich durch Dein Kind?
Ja. Als ich schwanger wurde, hatte ich anfangs Blutungen und bin natürlich sehr vorsichtig gewesen. Ich wollte mir und vor allem auch dem Baby Ruhe gönnen. Alles andere war mir nicht mehr so wichtig. Und ich konnte plötzlich sehr gut abstrahieren und auch abschalten. Ich hatte wirklich eine unglaubliche Ruhe in mir.
Hält diese Ruhe an?
Ich habe sie ein bisschen verloren. Und muss jetzt dringend wieder lernen, sie zu finden. Denn ich vermisse dieses Gefühl. Auch wenn ich es langsam wieder besser schaffe, dass ich Mails wirklich nicht mehr lese, wenn ich meine Mamitage habe. Dass ich mir denke: Das reicht auch, wenn ich erst am Montag zurückschreibe. Vielleicht klappt dadurch mal etwas nicht. Aber die Welt geht davon ganz sicher nicht unter.
Ich habe also beschlossen: Das will ich auch. Und was ich will, das setze ich um.
Du hast mit Deinem Kaffe Frau Meise grossen Erfolg. Wie und wo fing die Erfolgsgeschichte an?
Ich war wieder einmal in Hamburg in einem dieser tollen Kaffees, in denen du bis spät in den Nachmittag hinein brunchen kannst. So etwas gab es in der Schweiz einfach nicht. Zumindest nicht in Baden. Ich habe also beschlossen: Das will ich auch. Und was ich will, das setze ich um.
Einfacher gedacht und gesagt als getan.
Als ich meiner Familie erzählte, was ich vorhabe, hat mein Mami wohl auch noch nicht daran geglaubt. Denn was bei mir schon auch oft der Fall ist, ist, dass das Feuer ebenso schnell wieder erlischt wie es entflammt ist. Mein Mami hat also auch bei dieser Idee gedacht, das sei wieder einer meiner Fürze.
Warum war es dieses Mal anders?
Ich habe nach dem Studium schnell gemerkt habe, dass dieses 9 to 5 nicht mein Ding ist. Und das, obwohl ich einen tollen Arbeitgeber und auch einen tollen Job hatte. Ich habe im Management Development gearbeitet und bei einer grossen Firma Führungskräfte weiterentwickelt. Aber diese Routine war nichts für mich. Und ich bin ein Soloplayer, das merke ich auch jetzt immer mehr. Zudem fehlte auch das Kreative.
War das immer schon ein Teil von Dir?
Wahrscheinlich hat es immer schon im mir geschlummert. Aber ich habe es lange nicht gewusst. Ich stamme nicht aus einer Familie, die kreative Berufe ausübt. Ich habe also studiert, habe angefangen zu arbeiten – wie man das halt so macht. Es hat mich aber einfach nicht richtig erfüllt.
Bei der Kaffee-Meise-Idee lief aber auch alles wie am Schnürchen.
Wohl war. Ich bin von Hamburg nach Hause gekommen, habe mit meinem Vater, der Unternehmensberater ist, einen Businessplan erarbeitet, bin zwei Wochen später am Lokal vorbeigegangen und habe gewusst: Das ist es. Ich habe also sofort meinen Businessplan in den Briefkasten des Vermieters geworfen.
Diese Lage in Baden, Du warst sicher nicht die einzige Kandidatin.
Nein, bei weitem nicht. Aber der Vermieter hat genau nach einer solchen Idee gesucht und war total begeistert. Ich habe also unterschrieben.
Und warst ab sofort stolze Kaffeebesitzerin. Das muss sich toll anfühlen!
Ich weiss noch, dass ich nach Hause kam und mir dachte: Oh mein Gott, was hab ich jetzt gemacht? Was hat das jetzt für Konsequenzen? Es ging alles so schnell.
Kam auch der Erfolg ebenso schnell?
Ja, zum Glück. Das war ja nicht selbstverständlich. Es hätte auch sein können, dass ich einen Monat alleine in meinem Kaffee sitze. Ich hatte einen Mitarbeiter und wir waren beide masslos überfordert. Die Annabelle hatte schon bald nach der Eröffnung einen Bericht über uns publiziert und das hat uns extreme Reichweite gebracht. Dann kamen also Telefone von Kunden, die reservieren wollten. Darauf waren wir nicht vorbereitet.
Ich wusste, dass ich jederzeit einen neuen Job finden kann. Ich hatte studiert, hatte gute Referenzen und ich war ja nur für mich verantwortlich. Vögelifrei.
Wie lange hättest Du denn machen können, wenn es nicht eingeschlagen hätte wie eine Bombe?
Zwei Jahre. Ich hätte also relativ lange aushalten können. Das hat mir sicherlich auch den Druck genommen. Ebenso der Fakt, dass es eigenfinanziert war.
Du hast nebenbei noch deinen Bezahljob gehabt?
Nein. Ich habe von Anfang an alles auf eine Karte gesetzt. Ich habe den Vertrag unterschrieben und habe am nächsten Tag gekündigt. Ich wusste aber, dass ich jederzeit einen neuen Job finden kann. Ich hatte studiert, hatte gute Referenzen und ich war ja nur für mich verantwortlich. Vögelifrei.
Worauf glaubst Du, basiert denn dieser Erfolg?
Ich glaube, die Meise ist wirklich etwas, das man nicht oft findet. Es ist wie Zuhause. Und so soll es auch sein. Ich stelle zum Beispiel auch keine Gastronomen an, sondern Kreative. Ich will Gastgeber haben. Dies ist das Konzept, das es aber auch zu erklären gilt.
Warum?
Ich musste irgendwann auf der Webseite einen Text onlinestellen und das erklären. Denn es kamen viele Gäste mit falschen Vorstellungen zu uns. Sie hören: In der Meise gibt es einen super Brunch. Und dann stellen sie sich etwas vor à la Dolder. Wenn sie dann bei uns sind – es ist mega eng und irgendwie halt einfach anders – sollen sie nicht gefrustet sein.
Die Meise ist ein gemütlicher, herzlicher, zusammengewürfelter Ort.
Wie sind denn Eure Gäste?
So bunt wie auch die Meise. Wir haben viele Stammgäste, viele Gäste, die auch alleine kommen, weil sie sich bei uns einfach wohlfühlen. Wir haben aber auch immer wieder ganz neue Leute, die uns vorher noch nicht gekannt haben. Es ist ein gemütlicher, herzlicher, zusammengewürfelter Ort.
Ein Ort, an dem alles auch nach Zuhause schmeckt. War Dir das von Anfang an wichtig?
Es ist ein essenzieller Teil des Konzepts. Wir haben spezielle Produkte, die man sonst nicht überall findet. Das schätzen die Leute. Diese Einzigartigkeit. Mein Mami backt unsere Kuchen und macht am Mittwochmittag das Menü, unsere Bäuerin Petra liefert das Brot und die Wähen und bis zu ihrem Tod hat meine Nonna ihre selbstgemachten Produkte beigesteuert.
Ein Ort also, an dem man auch runterfahren kann?
Hoffentlich. Die Vision ist wirklich diejenige des Wohnzimmers. Und ich will, dass meine Angestellten diese Vision weiterführen. Ich möchte, dass man herzlich begrüsst wird, wenn man bei uns ins Kaffee läuft. Gastfreundschaft ist das A und O.
Du bist nur noch einen Tag in der Meise. Das braucht viel Vertrauen. Auch Kontrolle?
Wenn ich in der Meise bin, bin ich in der Meise. Dann bin ich ein aktives Teammitglied: bediene, koche, bin für den Gast da. Und wenn ich nicht im Kaffee bin, dann bin ich nicht im Kaffee. Dann machen das meine Angestellten. Ich habe ein unfassbar tolles Team. Ohne sie wäre es nicht möglich. Dazu kommt auch, dass mein Mami ja auch noch vor Ort ist. Ich mache mir also wirklich keine Gedanken um die Meise, wenn ich nicht da bin.
Das klappt?
Ja. Lustigerweise hat das von Anfang an geklappt. Und wie ich als Unternehmerin bin, bin ich auch als Mutter.
Wie meinst Du das?
An meinen Mamitagen bin ich Mami. Dann nehme ich mir Zeit nur für Nia. Aber wenn ich arbeite, dann arbeite ich. Und ich habe dann auch nicht mega das Kopfkino und habe Angst und frage mich, ob sie gut betreut wird. Die Angst geht wie weg, wenn sie nicht da ist.
In Eurer Wohnung hat’s neben sehr viel Platz und sehr viel Schönem auch ein Atelier. Denn Du bist ja auch noch Modedesignerin. Wann hast Du denn dafür noch Zeit?
Ich habe mich langsam eingearbeitet. Habe klein angefangen, das meiste Zuhause in stundenlanger Arbeit selber genäht. Meine ersten beiden Kollektionen habe ich vollständige in meinem Atelier gemacht. Meine Tage waren ellenlang. Ich habe immer gearbeitet, auch am Wochenende. Ich weiss heute nicht mehr, wie ich das gemacht habe.
Warum ich Kleider mache? Um Leute glücklich zu machen.
Wie bist Du denn zur Mode gekommen?
Ich habe in der Meise Mode von jungen Schweizer Designern verkauft. So lernte ich viele coole Leute kennen und ich habe mich in dieser riesig grossen kreativen Modewelt sehr wohl gefühlt. Schon während meines Studiums hatte ich viel genäht und ich wollte etwas Eigenes schaffen.
Und wenn Du etwas willst… Wir verstehen. Was bedeutet denn Mode für Dich?
Es ist etwas, das glücklich macht, etwas das man brauchen kann, um seinen Tag, um sein Leben zu verschönern. Das ist auch der Grund, warum ich Kleider mache: um Leute glücklich zu machen.
Für wen machst Du denn Mode?
Eigentlich für jedermann – oder jedefrau. Es ist wirklich weit gefasst: von 20- bis 70-Jährigen, von sportlich bis elegant. Es ist Mode, die zu vielen Leuten passt. Es ist aber sicherlich auch Mode für Leute, denen swissmade einen Batzen wert ist und die Qualität schätzen.
Meine Devise ist nicht, möglichst viel zu verkaufen. Das heisst, ich bin lieber ausverkauft, als dass ich ein Lager anhäufe.
Du setzt auch hier auf einen Trend: Slow Fashion. Was genau heisst das für Dich?
Ich produziere keine Massenware aus Massenstoffen. Pro Artikel sind es nur 10 bis maximal 40 Teile. Diese werden in einer kleinen Produktion in Thailand hergestellt, deren Besitzer ich persönlich kenne. Meine Devise ist zudem nicht, möglichst viel zu verkaufen. Das heisst, ich bin lieber ausverkauft, als dass ich ein Lager anhäufe.
Wie gut ist Dein Gespür für Deine Kunden?
Teilweise super gut, teilweise gar nicht. Es gibt Dinge, bei denen dachte ich: Das wird der Renner! Und niemand mag sie kaufen. Oder aber sie laufen erste eine Saison später. Oder ich muss sie abändern, damit sie gefallen.
Wie machst Du das denn?
Ich hatte zum Beispiel mal ein Kleid in der Kollektion, das gar nicht lief. Also habe ich mich entschieden es zu kürzen und als Bluse zu verkaufen. Diese war dann unglaublich begehrt. Ich versuche so Dinge auch upzucyclen.
Einher mit Slow Fashion geht auch der Trend zu bio. Setzt auch Du darauf?
Heute muss vieles bio sein. Und es reicht den Leuten, dass das draufsteht. Niemand fragt zum Beispiel nach dem Transport der Produkte und wie viele Kilometer ein Stück schon hinter sich gebracht hat, bis es bei uns in den Regalen ist.
Es ist also ein bisschen verlogen?
Das würde ich so nicht sagen wollen. Ein wenig angestrengt vielleicht. Aber das Wichtige ist, dass der Trend besteht und dass man sensibilisiert. Denn er führt zum richtigen Endergebnis.
Du produzierst also auch mit Biostoffen?
Nicht nur. Aber mir ist bio wichtig und ich habe jetzt auch Stoffe gefunden, die mir gefallen, die qualitativ top sind. Denn Qualität ist mir das Allerwichtigste. Und dank der Biostoffe habe ich jetzt auch angefangen, mich an Kinderkleiderideen zu wagen. Auch wenn das wiederum ja total witzig ist.
Wir achten bei Kinderprodukten penibel genau darauf, dass keine Zusatzstoffe und Chemikalien drin sind und kaum ist man erwachsen, ist es egal, was alles drin ist?
Was genau?
Ja, wieso ist es denn bei den Kindern wichtig und nachher sollte es plötzlich unwichtig werden? Auch bei den Pflegeprodukten und beim Essen achten wir penibel genau darauf, dass keine Zusatzstoffe und Chemikalien drin sind und kaum ist man dann erwachsen, ist es egal, was alles drin ist?
Wie werden denn Deine Kinderkleider aussehen?
Das weiss ich noch nicht. Ich wurde von einer Studentin kontaktiert, die mit mir für ihre Diplomarbeit zusammenarbeiten will. Sie sagte, sie fände es spannend, wenn man Kleider hätte, die man mit kleinen Sachen verändern kann. Diese Idee finde ich bei meinen Erwachsenensachen weniger spannend. Dies aber für Kindersachen umzusetzen wäre genial. Denn seit ich Mutter bin merke ich: Kinderkleider sind echt eine Sache für sich. Und es nervt, wenn du etwas kaufst und zwei Wochen später ist es zu klein oder zu kurz. Hier werden wir also zusammen etwas entwickeln. Das wir also Hosen haben, die man hochknüpfen kann zum Beispiel. Oder Kleiderstücke, die man ergänzen kann. Das ist sicher ein Markt und passt auch total gut in die Meise.
Es steht also wieder eine Veränderung an. Brauchst Du das?
Ich versuche immer wieder Veränderung reinzubringen. Es soll immer weitergehen und ich möchte nicht stehen bleiben.
Sich aus seiner Komfortzone rauszubewegen braucht aber auch Mut. Gibt es ein Patentrezept dafür, ihn zu finden?
Es hat viel mit dem Charakter zu tun und das kann man nicht beeinflussen. Ich bin ein Hauruckmensch und ich mache einfach. Ich arbeite dabei aber sicherlich risikoscheu. Der Tipp ist somit wohl: Wenn es Euch am Herzen liegt, dann macht es. Aber fangt nicht riesig an. Nehmt keinen Kredit auf, kauft euch nicht das Neuste vom Neusten und das Teuerste vom Teuersten. Gebt Euch einfach mal rein und versucht nicht, perfekt zu sein. Seid intuitiv. Das fehlt vielen Frauen.
Wir sollten das Selbstbewusstsein haben, es so zu machen, wie wir wollen. Und uns dabei sicher fühlen.
Wirklich?
Ich finde. Sie machen vieles mehr mit dem Kopf. Auch beim Mutter- und Schwangersein. Es fängt an mit all diesen Verboten und all diesen Meinungen. Blogs, Ärzte, Freunde und Bekannte die dir sagen, wie du es zu machen hast. Wir müssten da viel, viel mehr auf uns und unseren Körper hören. Denn niemand kennt doch seinen Körper so gut wie er selbst. Und niemand kennt sein Kind besser als er selbst. Wir sollten also dieses Selbstbewusstsein haben, es so zu machen, wie wir wollen. Und uns dabei sicher fühlen.