Bei Anne Tu Quoc können die Möbel sprechen – oder zumindest fast. Denn hier hat jedes Stück eine Geschichte. Nichts ist zufällig, alles wurde genau ausgesucht. Sei es vom Brockenhaus oder vom Online-Marktplatz: es passt. Sowohl zusammen als auch zu Anne.
Anne Tu Quoc ist Gründerin von Petit Mai. Seit zehn Jahren verkauft sie über ihren Onlineshop Babymokassins und Accessoires. Mit ihrem Partner Marc und ihren beiden Söhnen Lenox (7) und Finn Henry (4) lebt sie liebevoll und stilsicher eingerichtet in Fribourg. petit mai
Tadah: Deine Wohnung ist wie ein grosses Buch voller guter Geschichten. Erzählst Du uns einige davon?
Ich bin ständig etwas am Verändern. Meine Putzfrau, die wöchentlich kommt, findet quasi jedes Mal eine neue Wohnung vor. Das meiste aus unserem Zuhause habe ich aus dem Brockenhaus. Es gibt fast nichts, das ich neu gekauft habe.
Wie würdest Du Deinen Einrichtungsstil beschreiben?
Farbig. Lebendig. Und ich glaube: persönlich. Jeden Gegenstand habe ich irgendwo gesucht und gefunden. Ich wusste: exakt dieser musste es sein, der gehört zu uns.
Hast Du denn ein Bild davon, wie es bei Dir aussehen muss?
Nein, es ist recht organisch. Es entwickelt sich aus den Einzelteilen.
Vieles aus Deiner Wohnung stammt von früher – aus dem Brockenhaus. Was fasziniert Dich daran?
Ich stöbere unheimlich gerne. Und wenn ich etwas sehe, das ich mag, stelle ich mir vor, was ich daraus machen könnte. Das liebe ich.
Ikea ist also nicht Dein Ding?
Mir fehlt da halt ein gewisser Charakter. Klar, es gibt auch da schöne Sachen. Aber ich bin dennoch immer wieder erstaunt, wie viele Leute es gibt, die eine 0815-Ikea-Wohnung haben. Sie gehen da einmal hin, kaufen alles auf einmal und fertig ist ihre Einrichtung. Bei mir hat fast jedes Ding seine Geschichte. Alles kam nach und nach. Es war nicht von Anfang an «fertig».
Es kann sehr gut sein, dass ich neue Stühle sehe und mir denke: Oha, ich muss meine Stühle verkaufen – denn hier stehen meine neuen.
Du hast also keine Bindung zu Deinen Sachen?
Ich probiere es. Meine Mutter ist da ganz anders. Sie hängt extrem an den Dingen. Und jedes Mal wenn ich etwas weggebe, sagt sie: «Oh nein, das haben wir doch dort und dort gekauft.»
Alles horten kann und will ich nicht. Das bringt ja auch nichts.
Dinge loszulassen als eine Art Philosophie?
Ja. Prinzipiell kann man sagen: Ich bin ständig am Austauschen. Und wenn etwas Neues kommt, dann muss dafür etwas gehen.
Ist es befreiend, sich von Dingen zu lösen?
Total. Ich mag Wechsel. Zudem: alles horten kann und will ich nicht. Das bringt ja auch nichts. Ich richte gerne ein – das fühlt sich für mich ganz natürlich an. Und so erkennt man mich in meiner Wohnung auch wieder.
Es gibt aber sicherlich etwas, was Du nicht hergeben könntest, oder?
Mein Klavier. Auch wenn ich seit Ewigkeiten nicht mehr spiele. Aber es bedeutet mir trotzdem viel. Während ich meine Ausbildung absolvierte, stand es bei meinen Eltern. Und als diese es dann weggeben wollten, war für mich klar: Das kommt zu mir.
Hast Du Lieblingsstücke oder besser: Lieblingsgeschichten?
Das Sofa zum Beispiel. Nachdem unser altes Sofa in der vorherigen Wohnung geblieben war und ich mich nach etwas Neuem umschaute, entdeckte ich Togo von Ligne Roset. Ein unglaublich toller Sofa-Designer. Und ein teurer Sofa-Designer. Ganz klar ausser Budget. Unseres ist Occasion, ich habe es in Lausanne entdeckt und habe sogleich ein Büssli gemietet und bin dorthin gefahren. Der Typ, dem es gehörte war ein riesiger Freak: Er wohnte in einem alten Chalet und ganz genauso roch auch das Sofa: nach Feuer. Doch es war eine grossartige Begegnung, denn neben diesem tollen Sofa hatte er auch eine riesige Plattensammlung – inklusive aller Platten von Iron Maiden. Von der ersten bis zur letzten. Das perfekte Geschenk für meinen Mann.
Ok. Mehr von diesen Geschichten bitte.
Ich war auf der Suche nach einem Regal. Ich habe mich also auf Ricardo auf die Suche gemacht und dieses hier entdeckt. Es war ein wahnsinnig schlechtes Foto, kostete aber nur 15 Franken. Also habe ich mir gedachte: Na gut, da hast du nicht viel zu verlieren. Es stellte sich heraus, dass der Besitzer die Wohnung seiner Grossmutter auflöste und aus den Dingen gar kein Geld machen wollte. Ihm war es wichtiger, dass sie einen guten Platz bekommen. Mit dem Regal habe ich auch die Original-Kaufquittung von 1968 bekommen.
Wie sieht es mit Spielsachen aus? Sind die auch aus dem Brockenhaus oder aus zweiter Hand?
Da wir viel im Brocki sind, bringen wir auch viel von da nach Hause. Und bringen es dann nach einer gewissen Zeit wieder zurück. Das ist für die Kinder nicht immer so einfach, denn sobald sie ja sehen, dass man es weggeben will, ist es plötzlich total wichtig. Aber wir haben prinzipiell einfach zu viele Sachen.
Manchmal muss ich zehn Mal am Tag die Kissen auf dem Sofa richten. Das ist doch total doof.
Nervt es Dich, wenn ebendiese überall rumliegen?
Ja. Ich bin eine Perfektionistin. Ich habe es gerne aufgeräumt. Aber ich gebe mir gerade sehr Mühe, dass ich alles ein wenig lockerer nehme.
Wie meinst Du das?
Manchmal muss ich zehn Mal am Tag die Kissen auf dem Sofa richten. Das ist doch total doof und bringt niemandem etwas. Denn seien wir ehrlich, wenn ich alleine mit den Kindern bin, ist das doch völlig egal. Aber mich chribbelts einfach in den Fingerspitzen.
Du schaffst es also nicht, lockerer zu sein?
Ich probiere es. Wirklich. Denn es hört ja auch nie auf. Wenn die Kinder endlich im Bett sind, muss ich noch aufräumen, die Wäsche zusammenlegen und und und. Ich sage mir jetzt also: Weisst du was? Es ist doch egal. Ich sitze jetzt lieber aufs Sofa und lese oder ich nehme ein Bad. Und ich schaffe es je länger je besser - es ist ein Prozess. Und ich steck da noch voll drin.
Was hat sich verändert seit du Kinder hast?
Alles. Manchmal kann man sich gar nicht mehr an das Leben vorher erinnern. Sie sind plötzlich da und sind so präsent. Die ganzen Prioritäten haben sich verschoben. Dieses Muttersein ist ein Weg. Und eine Zeit lang habe ich mich aufgegeben. Denn du machst alles für die Kinder und die Familie und du selbst gehst dabei ein bisschen verloren. Bist du merkst: Das geht nicht mehr.
Die Kinder wachsen und du wächst mit. Jetzt, umso älter sie werden, umso mehr finde ich mich selber wieder.
Wann kam dieser Zeitpunkt?
Vor etwa zwei Jahren. Plötzlich war da diese Gefühl: Oha jetzt reicht es. Ich muss mal wieder atmen, mein eigenes Zeug machen, mich um mich kümmern. Ich habe viel mehr Sport gemacht, versucht den Ausgleich zu finden, damit mir die Decke nicht auf den Kopf fällt. Auch das war ein Prozess. Die Kinder wachsen und du wächst mit. Das ist ja auch spannend, man arbeitet das ganze Leben lang an sich, entwickelt sich. Jetzt, umso älter sie werden, umso mehr finde ich mich selber wieder.
Was ist das Schönste am Muttersein?
Die bedingungslose Liebe.
Und worauf könntest Du verzichten?
Auf das ewige Gstürm. Und auf den Morgenstress.
Reden wir mal über Petit Mai. Wie entstand die Idee?
Noch bevor ich eine Familie hatte, habe ich Kappen gestrickt und verkauft. Ich belieferte 50 Läden und hatte mehrere Angestellte. Innerhalb von zwei Jahren konnte ich davon leben. Dann kamen die Kinder. Und alles hat sich verändert. Ich habe für Lenox viel genäht. Bekannte und Freunde fragten dann, ob ich für sie auch Sachen nähen kann. Irgendwann wurde es zu viel, ich brachte es nicht mehr unter einen Hut. So kam es, dass ich mich voll und ganz auf die Schuhe konzentriert habe. Und dann war es plötzlich klar: Das war es. Darauf setze ich.
Aber dein Background mit der Hotelfachschule ist ja ein völlig anderer? Wieso kannst Du denn überhaupt so gut nähen?
Ich habe es mir selber beigebracht, es war ja wirklich nur ein Hobby.
Daraus wurde ein Business. Warst Du mutig?
Ich hatte nicht viel Risiko und musste nicht viel investieren. Ich dachte also wirklich einfach nur: Jetzt probiere ich das. Und es hat funktioniert.
Woher kommt denn der Name Petit Mai?
Mai ist mein vietnamesischer Name: Anne Kim Mai. Es bedeutet goldene Kirschblüte. Als ich mit den Mützen anfing, hiess das Label Mai. Als dann die Kindersachen dazukamen entstand daraus Petit Mai.
Was magst Du an Deinem Job am meisten?
Neue Sachen zu kreieren, Neues zu entwickeln. Aber auch die Selbständigkeit ist grossartig. Ich hätte Mühe, wenn ich plötzlich einen Chef hätte, der mir sagt, was ich zu tun habe.
Hat sich Einstellung zum Job geändert seit Du Mami geworden bist?
Ja. Als Lenox kam war ich ziemlich im Clinch. Denn ich war mittendrin, hatte alles aufgebaut und musste es dann ein wenig aufgeben. Am Anfang habe ich mich selbst überfordert und ich habe gemerkt, dass ich zurückstecken muss. Heute mache ich zwar meine Sachen, aber die Prioritäten haben sich verschoben. Manchmal sage ich auch Aufträge ab, weil ich weiss, dass mehr nicht drin liegt.
Hast Du Unterstützung?
Früher, als ich viel gearbeitet habe, hatte ich regelmässige Hilfe. Heute ist es je nach Auftragslage. Die Leute, die mir unter die Arme greifen sind Pensionierte und Bäuerinnen. Sie sind nicht zwingend auf den Job angewiesen, sondern einfach froh, wenn mal wieder etwas kommt.
Wenn man kreativ ist, hat man dauernd neue Ideen. Auch wenn man Altes mag.
Hast Du ab und zu ein schlechtes Gewissen Deinen Kindern gegenüber?
Ja. Es gibt Zeiten, zu denen wir wirklich beide voll ausgelastet sind und wir die Kinder oft weggeben. Dann habe ich das Gefühl, zu wenig Zeit für sie zu haben. Auch wenn man jeden Tag versucht, das Beste zu geben, die beste Mutter zu sein, die man kann. Mütter haben da oft eher ein schlechtes Gewissen als Väter. Das ist wohl in der Gesellschaft verankert.
Was kommt als nächstes in Sachen Karriere?
Momentan stimmt es für mich, so wie es ist. Es liegt nicht mehr drin. Aber ich sehe mich schon irgendwann mal ein Atelier ausserhalb meines Zuhauses zu haben und Festangestellte. Das ist ein langfristiges Ziel, wenn die Kinder etwas grösser sind und ich wieder mehr Zeit habe. Aber es gibt auch jetzt schon neue Sachen, neue Kollektionen, neue Ideen. Ich stagniere ja nicht. Wenn man kreativ ist, hat man dauernd neue Ideen. Und das auch wenn man Altes mag.