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Tadah

Chantal Ehrensperger: surf, eat, sleep, repeat.

Von einer die auszog, um das Leben so richtig zu geniessen und zu spüren: Chantal Ehrensperger erzählt uns ihre Geschichte, wie sie damals mit Baby und Partner nach Kolumbien auswanderte und ein Hostel aufbaute. Hier lebt sie nun – und erlebt jeden Tag ganz bewusst inmitten der Natur. Und natürlich auf ihrem Surfboard.

 


in Kooperation mit unseren Partnern von


Chantal E. Palomino 2018

Chantal Ehrensperger ist Grafikerin und neu auch Hostelbesitzerin. Sie lebt zusammen mit ihrem Partner Matthias und ihrem Sohn Loui Chapolin (3) seit über drei Jahren in Kolumbien, wo sie seit 1.5 Jahren gemeinsam das Casa Chapolin führen.
casachapolin.com

Tadah: Von der Zürcher Grafikerin zur kolumbianischen Hostelbesitzerin – ein langer Weg?
Der Weg an sich war nicht unbedingt lang, sondern vor allem ein Herzensentscheid. Ein Entscheid für den richtigen Mann in meinem Leben. Matthias war bereits Land- und Hausbesitzer in Brasilien und Kolumbien. Wir sind irgendwo in Portugal zusammen gekommen. Und plötzlich stand da meine Karriere gegenüber seinem Lebenstraum. Einer musste also eine Entscheidung fällen, in welche Richtung es weitergeht, sonst hätte es nicht geklappt. Und ich wollte, dass es klappt.
Was auch half: Ich hatte beruflich schon viel erreicht und war deswegen bereit, es einfach mal zu versuchen. Auswandern aus dem Bauch heraus sozusagen. Dasselbe galt für die Hostelgründung. Meine Kreativität fliesst momentan in das Unternehmen Casa Chapolin. Und: Es muss ja nicht alles gleich für immer sein.

Casa Chapolin – wie kam's zum Namen?
Chapolin heisst nicht nur unser Hostel, sondern auch unser Sohn. Dazu gibt es natürlich eine Geschichte. Chapolin ist Matthias' bester Freund aus der Babylonia, einer Favela in Rio. Die zwei verbindet eine sehr tiefe Freundschaft. Wir wussten – egal ob Mädchen oder Junge – unser Kind wird den Namen Chapolin tragen. Ich mochte den Namen von Anfang an. Und da wir uns entschieden haben, nie über Güter, also über materielle Dinge zu streiten, haben wir das Haus nach dem benannt, was uns am allerliebsten ist: nach unserem Kind.

Loui Chapolin wächst also in dem nach ihm benannten Haus auf. Inmitten der Natur. Ohne diese Hektik, wie wir sie oft erleben. Geniesst er das? Und vor allem: Tust Du es?
Das hektische Hamsterrad des Agenturlebens habe ich definitiv verlassen. Ich lerne hier, was wirkliche Wichtigkeit hat im Leben. Es ist etwas komplett anderes, ob man das einfach so dahersagt, oder ob man es wirklich lebt und spürt.

 

Keiner fragt hier nach Deinem Beruf. Es geht darum, wer du bist.

 

Wir leben viel einfacher, viel näher an und vor allem mit der Natur. Um uns herum hat es viele Menschen, die viel, viel weniger besitzen. Keiner fragt hier nach deinem Beruf. Es geht darum, wer du bist.

Das alles ist aber auch viel Arbeit, oder?
Natürlich, es ist nicht so, dass ich hier permanent in der Hängematte liege und dem beruhigenden Wellenrauschen zuhöre. Ich hatte schon immer den Anspruch an mich, dass ich etwas so gut wie möglich zu machen versuche. Den Druck auferlege ich mir sicher selber. Ich möchte ein Haus führen, das nicht einfach Gäste beherbergt, sondern auch ein bisschen Heimat im Ausland ist. Eine Anlaufstelle für gute Gespräche und gute Küche.
Im Casa Chapolin habe ich ständig Menschen um mich herum. Das ist bereichernd und lehrreich. Aber es kann auch ganz schön anstrengend sein. Wir müssen extrem darauf achten, unsere Qualitytime als Familie zu haben.

Chantal E. Palomino 2018
Chantal E. Palomino 2018
Chantal E. Palomino 2018

Was rätst Du uns Daheimgebliebenen?
Erstens: Zeit, gute Freunde und Familie sind das Wichtiste überhaupt. Zweitens: Vertraut euren Kindern und lasst sie auch etwas wagen. Drittens: Denkt nicht immer daran, wie ihr im Alter dastehen werdet. Lebt mehr im Jetzt. Keiner weiss, was als nächstes passiert. Viertens: Augen auf die Natur, statt aufs Mobiltelefon. Loui darf das Handy noch gar nicht in den Händen halten. Er weiss, es ist ein Arbeitsgerät von Mama und Papa. Aber er braucht es auch nicht. Er hat Bäume zum Klettern, Viecher im Garten, er hat das Meer und noch soviel mehr.

Lebst Du mehr im Jetzt als früher?
Die Nähe zur Natur macht mich zu einem besseren Menschen. Ich achte mehr auf die Umwelt. Ich surfe, ich erkenne anhand der verschiedenen Vogelstimmen, wie viel Uhr es ist – ja, ich brauche  nicht mal mehr einen Wecker.

Man braucht also nicht früh aufzustehen, um 9.5 Punkte auf Booking.com zu bekommen?
Auf die 9.5 Punkte sind wir stolz. Es ist aber auch viel Arbeit und man muss lernen, sich zu distanzieren. Wir leben im gleichen Haus wie die Gäste, bloss auf einem anderen Stockwerk. Aber trotzdem bist du immer mittendrin. Aber um die Frage zu beantworten: Ich stehe normalerweise um 6:00 Uhr auf. Das ist meine innere Uhr und dann geht die Sonne auf.

Chantal E. Palomino 2018
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Chantal E. Palomino 2018

 

Wir mögen es einfach gute Zeit, gutes Essen und Erinnerungen zu schenken.

 

Das ist wahrlich früh.
Ja, aber ich mache das alles hier im Hostel wirklich gerne, da steht man auch gerne früh auf. Mein Mann kocht und lehrt mich die Gelassenheit in schwierigen Situationen. Ich unterhalte mich gerne mit Menschen. Wir mögen es einfach gute Zeit, gutes Essen und Erinnerungen zu schenken. Und einmal im Jahr fahren wir gemeinsam länger nach Europa zu unseren Familien.

Wie sieht Dein normaler Arbeitstag aus?
Ich stehe um 6:15 Uhr auf. Wenn ich nicht das Frühstück vorbereite, dann gibt es einen Frühsurf oder etwas Yoga und Fitnessübungen auf meinem Dach. Danach mache ich Loui kindergartenfertig und fahre ihn mit dem Velo dahin.
Wir arbeiten in Schichten. Ich mache den Desk, die Grafik, die Essensvorbereitungen und organisiere Ausflüge, die abseits vom typischen Tourismus sind. Matthias ist der Hauptkoch und ein wundervoller Vater mit gutem Menschengespür.
Am Abend kochen wir und bis dann alles aufgeräumt ist und wir die Küche schliessen, ist es ungefähr 22:00 Uhr. Dazwischen bringt einer von uns beiden Loui ins Bett. Das läuft immer gleich ab. Wir lesen ihm eine Geschichte vor oder wir reden mit ihm nochmals darüber, wie schön der Tag war, wie gut es uns geht oder was wir besser machen können.

Kennst Du sowas wie Wochenende?
Samstags geh ich in die lokale Disco. Ich tanze gerne. Und das tut man hier zusammen und nicht alleine. Salsa check ich auch nach fünf Jahren noch nicht. Reaggeton geht besser.

Chantal E. Palomino 2018
Chantal E. Palomino 2018
Chantal E. Palomino 2018
Chantal E. Palomino 2018
Tadah_Tropical Antibrumm

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antibrumm.ch 

Kann man denn ein Hotel ohne Vorwissen aufbauen?
Ich hatte tatsächlich keinerlei Erfahrung in der Hotelerie. Aber ich hatte meine Erfahrung als Creative Directorin und ich hatte Matthias. Er führt seit 1997 Surfcamps und Hostels in Frankreich, Portugal oder Brasilien. Und dies immer mit dem Motto: Wir möchten Spass haben im Leben. Wir haben nämlich nur eines.
Matthias hat eine wahnsinniges Gespür für unberührte Orte, wo man etwas neues aufbauen kann. Und er findet schnell den Zugang zu den Einheimischen. Ich wiederum habe die Disziplin. Ganz ehrlich: Ohne ihn hätte ich es nicht geschafft. Kolumbien war nie meine Wunschdestination. Matthias hat mich mit einem ganz einfachen Satz hierhin gebracht: Dein Geld sieht auf dem Konto keine Palmen.

 

Ich habe gelernt, ganz fest auf meine Mutterinstinkte zu vertrauen.

 

Apropos keine Wunschdestination: Wovor hat man als Mutter eines Kleinkindes Angst, wenn man im Nirgendwo  wohnt?
Ich bin mit Loui hierher gezogen, da war er fünf Monate alt. Ich war noch nicht bei mir selbst als Mama angekommen. Ich hatte Angst vor der Verantwortung, die ich für mein Kind tragen musste. Schlaflose Nächte, zu viele Geschichten über Kolumbien, kein Arzt. Ich habe gelernt, ganz fest auf meine Mutterinstinkte zu vertrauen.

Die da wären?
Ein Kind darf 2-3 Tage hohes Fieber haben – der Körper braucht das zum Wachsen. Schlimme Insektenstiche verheilen. Pflanzen können fast alles. Ich habe acht Monate gestillt. Die Muttermilch kann viel. Eine Restangst vor Krankheiten oder schlechten Krankenhäusern bleibt aber trotzdem.
Worauf ich meist vertrauen kann: Loui kann mir ziemlich genau mitteilen, wie es ihm geht. Aber ein Fakt ist und bleibt: Ungefähr 90% der lokalen Bevölkerung wird nie einen so guten Zugang zu Medizin haben wie wir Schweizer. Dafür sollten wir wirklich etwas dankbarer sein.

Du machst also durchwegs positive Erfahrungen?
Klar schwingt bei all den Geschichten, die ich über das Land kenne, etwas Unbehagen mit. Aber Fakt ist auch: Kolumbianer lieben Kinder. Immer wird einem in den Bus geholfen, der Bus hält wenn er sieht, dass noch eine Mama einsteigen will, mit Kind aber nicht so schnell rennen kann. Ja, er hält sogar, wenn ein Kind pinkeln muss.

Und es sind wohl diese Sachen, die Du Loui im Leben auch mitgeben willst?
Es ist unsere Lebenseinstellung, die ich ihm mitgeben möchte: Respektiere die Natur und dein Umfeld. Menschen sind verschieden. Urteile nicht vorab und es wird gegenseitig geholfen. Habe Freude am Leben. Nutze die neue Technologie mit ihren Vorteilen, aber missbrauche sie nicht.

Welche Sprachen spricht Loui denn mittlerweile?
Er spricht Zürichdeutsch, Steyrisch und Costenol (Küstenspanisch) – also alles nur Dialekte. Vor nicht allzu langer Zeit hat er einem Gast korrekt auf Englisch geantwortet, da war ich ziemlich erstaunt. Er hört sehr viel Verschiedenes hier, da bei uns im Haus viele Sprachen gesprochen werden.

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Chantal E. Palomino 2018

Ein ungebetener Gast in Kolumbien ist der Zika-Virus. Ist Kind Nummer 2 deshalb kein Thema?
Von Zika-Fällen, die Einfluss auf das Kind haben, haben wir in unserer Gegend nichts gehört. Eine Schwangerschaft birgt immer eine Gefahr. Aber mit solchen Gedanken wollen wir gar nicht leben. Wir hätten sehr gerne ein zweites Kind, dass dies noch nicht geklappt hat, hat aber wohl eher mit unserem Alter zu tun. Und wenn es gar nicht mehr klappen sollte, dann ist dies zwar sehr schade  – aber dann freuen wir uns über unser gesundes Kind und daran, dass es uns gut geht. Künstliche Befruchtung kommt für mich nicht in Frage. Das hat nichts mit Religion zu tun, sondern mit meiner Einstellung, gewisse Dinge der Natur zu überlassen.

Worauf bist Du ganz besonders stolz?
Wenn Gäste sagen, dass sie eine schöne Zeit hatten und es mehr wie ein Zuhause war als wie ein normales Hostel. Wir haben zu 99% wundervolle Gäste mit spannenden Lebensgeschichten. Die 9,5 auf Booking.com und die dazugeschriebenen Worte sind deshalb auch ein grosses Online-Kompliment.

Zimmer 1
Flösse
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Chantal E. Palomino 2018
Esstisch

 

Es gibt immer etwas zu tun. Und das ist auch gut so, so hat man nicht so viel Zeit, auf blöde Gedanken zu kommen.

 

Du warst schon immer jemand, der viel von Hand kreiert hat. Was hast Du hier alles erschaffen?
Ich war jeden Tag auf der Baustelle und habe dabei sehr viel gelernt. Mal habe ich Beton gemischt, mal Deckenplatten mitangefertigt. Ich habe gebohrt und das Haus mitentworfen. Unser Architekt ist übrigens Thomas Rutishauser, ein Schweizer. Zudem male ich Bilder, entwerfe Möbel und gestalte den Garten. Es gibt immer etwas zu tun. Und das ist auch gut so, so hat man nicht so viel Zeit, auf blöde Gedanken zu kommen.

Chantal E. Palomino 2018
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Chantal E. Palomino 2018
Bibliothek

Hast Du weniger Dinge um Dich herum als früher? Ist das befreiend?
Es ist enorm befreiend. Menschen geben sehr viel Geld für unütztes Material aus.

Aber es gibt doch sicher Dinge, die Du vermisst?
Klar. Mein Mami, meinen Papi, meine Schwester, deren Tochter Emma – die Familiennähe fehlt mir auch für Loui. Natürlich vermisse ich auch meine besten Freunde oft. Manchmal auch die Kultur. Europa hat so viel davon und es ist so inspirierend.

Könntest Du Dich wieder im normalen Schweizer Alltag eingliedern?
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Ja, ich könnte das. Ausserdem liebe ich die Schweiz, ihre Berge und die Kultur. Wir haben Gesetze die (mehr oder weniger) funktionieren und zum Wohle der Menschen sind. Aber ich weiss, dass ich Mühe hätte mit der ständigen Zukunftsangst, die in der Schweiz geschürt wird. Damit, dass jeder viel zu oft auf sein Handy starrt. Und damit, dass von der schönen Landschaft gar nicht mehr so viel übrig ist. Allein in den letzten fünf Jahren wurde die Schweiz enorm zugebaut. Das erschreckt mich bei jedem Besuch Zuhause.

Viele Gründe, in Kolumbien zu bleiben.
Das Thema Rückkehr ist natürlich heiss diskutiert. Mir fehlt meine Familie aber Loui wächst hier so herrlich ungezwungen auf und wir haben auch eine kleine Schule gegründet. Aber diese wird unseren Standard nicht so schnell erreichen. Die Schweizer Bildung ist einzigartig – geht aber in eine enorm leistungsorientiere Richtung, was ich nicht unterstützen kann. Auch vier Jahreszeiten zu haben ist ganz angenehm, wie ich mittlerweile finde.
Alles in allem ist es aber so: Wir sind Surfer. Portugal, Spanien oder Frankreich sind als nächste Destination nicht auszuschliessen. Wir geniessen aber jetzt einfach mal die Situation und schielen nur mit einem Auge in die Zukunft.

Chantal E. Palomino 2018
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Chantal E. Palomino 2018

Und wenn das eine Auge in die Vergangenheit, auf die letzten drei Jahre schielt, was sieht es da Schönes?
Viele schöne Momente, die mit Loui zusammenhängen, spannende Gespräche und Begegnungen im Casa Chapolin. Aber um es in ein Bild zu fassen: Sonnenuntergang auf der einen Seite, Vollmond auf der anderen, Doppelregenbogen über uns. Wir in der Mitte mit unseren Surfboards.

Chantal E. Palomino 2018

Betreuungssituation:
Chantal arbeitet 100% in ihrem Hostel. Von 8-12 geht Loui in eine kleine Schule. Ansonsten ist er immer um seine Eltern herum und hilft manch­mal schon mit. Wenn er einen schlechten Tag hat, nimmt sich einer der beiden Eltern aus dem Hostelbetrieb heraus und kümmert sich um ihn. 

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Update 2022

Chantal, ihr Partner Matthias und Loui flogen im Februar 2020 nach Österreich, um Matthias' Familie zu besuchen und Loui von der Schule abzumelden. Sie strandeten im Lockdown - es gab für lange Zeit keine Flüge mehr zurück nach Kolumbien.

Sie beschlossen schweren Herzens in Österreich zu bleiben, um von hier aus die Menschen in Kolumbien zu unterstützen. Loui ging also in Europa zur Schule, während die Schulen in Kolumbien über zwei Jahre lang geschlossen waren.

Im Hostel in Kolumbien wiederum zogen diverse Mitarbeitende ein, damit sie Miete sparen konnten. Das Ruder übernahm dann ein fantastisches Team: Francesco und Marcela, die das Casa Chapolin dann auch wiedereröffneten.

Chantal, Matthias und Loui wollen diesen Sommer für ein Jahr zurück nach Kolumbien. Danach möchten sie wieder nach Europa, um hier endgültig wieder daheim zu sein.


Bilder von Frank-Michael Arndt.