Die Gründerin des Bio-Modelabels YUBI zieht Nachhaltigkeit durch ihr Leben. So konsequent, dass wir wirklich beeindruckt sind. Und auch wenn sie behauptet, dass es 100% nicht gibt, finden wir: Sie ist nahe dran. Doch lest selbst.
Anna Schweisfurth ist Modedesignerin, Gründerin des Modelabels YUBI und Enkelin von Karl Ludwig Schweisfurth, Pionier auf dem Gebiet der ökologischen Lebensmittelherstellung. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern Elena (1) und Jakob (3) wohnt sie in München. YUBI
Tadah: Du hast Bio ja sozusagen in deinen Genen. Erzähl uns Deine Geschichte.
Mein Grossvater hat vor über 30 Jahren eines der gössten deutschen Wurstwarenunternehmen verkauft und sich entschieden, nachhaltig zu produzieren. Er hat ein kleines Anwesen in Bayern erworben und daraus ein Bio-Verarbeitungsunternehmen gemacht. Da gab es eine Metzgerei, eine Käserei, eine Bäckerei, da wurde Bier gebraut – lauter verschiedene Handwerksbetriebe also. Später ist auch mein Vater in den Bio-Lebensmittelbereich eingestiegen. So bin ich aufgewachsen, Bio war allgegenwärtig. Wir haben das Thema gelebt.
Wolltest Du nie in die Fussstapfen Deines Grossvaters und Vaters treten?
Ich bin ja quasi in ihre Fussstapfen getreten. Ich habe das Ganze einfach ein wenig erweitert, oder besser: die Branche gewechselt. Denn auch wenn ich schon immer gerne gekocht und gebacken habe, habe ich mich nicht in dem handwerklichen Bereich der Lebensmittelproduktion gesehen. Ich war aber kreativ, habe viel gezeichnet und gebastelt. So hat sich dann irgendwann die Modebranche herauskristallisiert.
Ich wollte mit meinem Beruf einen Beitrag dazu leisten, dass sich auch in der Modebranche etwas tut.
Warum?
Sicherlich auch wegen des Handwerks. Ich habe mich für eine Ausbildung zur Schneiderin entschieden. Das Nähen fand und finde ich toll. Ich liebe es. Nach meinem Abschluss habe ich mir überlegt, wie ich meinen Beruf auf eine Art und Weise umsetzen kann, die meinen moralischen Vorstellungen entspricht.
Stichwort Nachhaltigkeit?
Ja. Ich habe diese gelebt und konnte mir nicht vorstellen, es anders zu tun. In einer grossen Produktion zu arbeiten, die keinen Wert auf fair und ökologisch produzierte Stoffe oder faire Arbeitsbedingungen legt, wäre nie in Frage gekommen. Ich wollte mit meinem Beruf einen Beitrag dazu leisten, dass sich auch in der Modebranche etwas zum Besseren entwickelt. Und ich wollte vor allem meine Arbeitszeit nicht mit etwas verbringen, was der Welt nicht gut tut.
Apropos Welt – sie hat Dich ebenfalls beeinflusst.
Durch das Reisen, ja. Ich habe in Indien und Japan ein paar Monate in Schneidereien gearbeitet, um zu sehen, wie es auf dem Rest der Welt funktioniert. Das hat mich sehr geprägt.
Erzähl!
In Indien habe ich zwar nicht in einer grossen indischen Schneiderei gearbeitet, sondern in einer kleinen Produktion, aber ich habe mitgekriegt, was da läuft. Die Zustände in den Textilfabriken sind teilweise unhaltbar. Da habe ich entschieden: Ich muss es für mich besser machen. Zurück in Deutschland habe ich mich selbstständig gemacht. Ganz klein, ganz einfach.
Viele Labels produzieren Kleider aus biologischer Baumwolle. Dies ist zwar ein guter erster Schritt, aber die grossen Umweltsünden passieren erst nach dem Anbau der Baumwolle.
Selbstständig mit nachhaltiger Mode. Eine Herausforderung?
Will man alles selber machen, ist die Herausforderung gross. Man hat kein Geld, aber grosse Pläne. Ich wollte alles richtig machen, alles nachhaltig machen. Das war mir wichtig. Aber es war schwierig am Anfang.
Warum?
Für kleine Manufakturen, wie ich mit meinem Label YUBI, ist es nicht einfach. Die Branche ist so unglaublich komplex. 2010, als ich mich selbstständig gemacht habe, gab es noch kaum Möglichkeiten, Bio-Stoffe zu bestellen. Der Markt war klein und ich war eingeschränkt in der Materialwahl. Neben den Stoffen suchte ich nach nachhaltig hergestellten Garnen, Knöpfen und allem, was man für ein Kleidungsstück sonst noch benötigt. Ich begann, Bio-Stoffe selber zu färben. Und Kleidungsstücke quasi rückwärts zu designen. Nämlich zu schauen, was ich für Material, Muster und Farben zur Verfügung habe und erst dann habe ich den Schnitt entworfen. Die investierte Zeit ist unbezahlbar.
Ist Fair Fashion eine Nische?
Ja, wenn auch eine zunehmend grössere. Die Wertschöpfungskette bei Textilien ist komplex. Es ist schwierig, wirklich Fair Fashion zu machen. Nehmen wir das Beispiel Biobaumwolle. Viele Labels produzieren Kleider aus biologischer Baumwolle. Dies ist zwar ein guter erster Schritt, aber die grossen Umweltsünden passieren erst nach dem Anbau der Baumwolle. Dann wird gefärbt: ein Riesenthema. Und ebenso problematisch sind die ganzen Chemikalien, welche aufgetragen werden, damit die Materialien den Ansprüchen genügen, die wir heute an sie haben. Im schlechtesten Fall muss ein Kleidungsstück alle zwei Tage bei 60 Grad durch die Maschine gehen und trotzdem nach einem Jahr noch so aussehen, als wäre es neu. Dem kann fast keine Textilie standhalten. Vor allem keine Naturtextilie.
Hinkt die Mode im Bereich Nachhaltigkeit denn hinterher?
Oh ja, meilenweit! Das Bewusstsein dafür ändert sich zwar ganz langsam, aber es bleibt immer noch wahnsinnig viel zu tun. Die Menschen wissen noch sehr wenig darüber Bescheid. Anders als die Lebensmittelbranche: Diese ist schon viel älter und hat ihre Pionierzeit hinter sich gelassen. Im Textilbereich ist das noch nicht der Fall. Es gibt heutzutage viele Menschen, die sich biologisch ernähren. Aber es zeigt sich, dass in den meisten Fällen der Bogen zu fairen Textilien noch lange nicht gespannt ist.
Was genau macht denn Fair Fashion aus?
Die Arbeitsbedingungen der Baumwollbauern, der Spinner, der Weber, der Färber, Ausrüster und NäherInnen (um nur einige zu nennen) spielen eine wichtige Rolle. Aber auch: Was passiert mit der Umwelt, in dem Land, wo es produziert wird? Was passiert mit den Abwässern vom Färben? Verpesteten sie die ganzen Flüsse? Oder ist da ein Reinigungsprozess mit inbegriffen? Und landen auch wirklich keine Chemikalien über die Kleidung auf der Haut der Konsumenten? Solche Dinge sind mit den verschiedenen Bio-Siegeln abgedeckt – mit leicht varriirender Gewichtung. Alle garantieren das Einhalten gewisser Standards. Das Wichtigste für mich ist aber ganz klar: Fair Fashion ist nicht «ich gehe in den Laden für Biomode und decke da mein Kind oder mich selbst von Kopf bis Fuss ein». Fair Fashion ist auch eine bewusste Art und Weise mit dem Konsum von Kleidung umzugehen. Diesen nämlich drastisch zu reduzieren. Fazit: Fair ist es dann, wenn es für alle Beteiligten fair ist. Und es ist wichtig, dass die globale Produktion runtergekurbelt und nicht angekurbelt wird.
Ich hatte das Gefühl zwei Babys zu haben. Einerseits Jakob andererseits den Laden. Und beiden wurde ich nicht gerecht.
Dein Label und Dein Laden, das lief, bis die Kinder kamen. Was passierte dann?
Ich habe bis zur Geburt von Jakob gearbeitet. Beinahe bis zum letzten Tag. Ich hatte entschieden, dass es auch nach der Geburt weitergehen sollte. Ich stand am Samstag im Laden, unter der Woche meine Mitarbeiterinnen. Ein Jahr lang habe ich es durchgezogen. Ich stand unter grossem Druck.
Warum?
Ich hatte das Gefühl zwei Babys zu haben. Einerseits Jakob andererseits den Laden. Und beiden wurde ich nicht gerecht. Zurückstecken musste dann ganz klar der Laden. Und so habe ich mich nicht mehr um die kleinen Basics gekümmert, die aber nun mal essenziell sind.
Die da wären?
Ein einfaches Beispiel: das Schaufenster. Ich kam einfach nicht dazu. Wenn da aber wochenlang dasselbe ausgestellt ist, dann gehen die Leute irgendwann einfach dran vorbei. Und auch wenn ich Mitarbeiterinnen hatte, die sich unter der Woche um den Laden kümmerten, wollten meine Kunden von mir beraten werden. Das heisst, sie sind alle am Samstag gekommen. Es wurde echt stressig. Dann wurde meine eine Mitarbeiterin schwanger und die andere zog weg. Und so stand ich vor der Frage: Schaffe ich es, diesen Laden zu tragen? Schaffe ich es, jemand neuen einzulernen?
Die Antwort war also nein?
Ich habe entschieden, dass das so nicht funktioniert und den Laden geschlossen.
Schweren Herzens?
Nein. Ich tat es für meine Familie. Und das Nähen habe ich nicht aufgehört. Ich habe mein Atelier nach Hause verlegt. Und meine Stammkunden rufen noch immer an und sagen: Anna, ich brauche dringend eine neue Hose. Ich habe die Schnitte zu Hause, nähe das dann und schicke es los. So habe ich mein Unternehmen eben radikal verkleinert. Das gibt mir auch Luft darüber nachzudenken wie ich in Zukunft weitermachen werde. Aber bis dahin mache ich weiter faire Mode. YUBI gibt's also noch, einfach in sehr reduzierter Form.
Das Leben mit Kinder verändert einen. Und wie Du schon erzähltest, hat dies auch das Reisen getan. Neben Indien hat Dich so auch Japan geprägt. Was genau?
Ich fand es wunderbar, wie da mit dem Handwerk umgegangen wird. Ein Sensai (Meister) geniesst Ansehen und die gesellschaftliche Wertschätzung von Handwerkskunst ist sehr hoch. Das ist hier in Europa nicht der Fall. Die Wertschätzung fehlt. Überall eigentlich.
Wie meinst Du das?
Es heisst immer: Biomode sei etwas für Besserverdiener. Aber dieser Ansatz ist doch viel zu einfach. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich grundsätzlich und grundlegend etwas verändern muss. Wir müssen wieder lernen, Mode und alle anderen Gegenstände und Materialien, die wir nutzen, wertzuschätzen. Und das gilt auch für die konventionelle Produktion.
Es ist als alles viel zu günstig?
Ja. Es kann nicht noch günstiger werden. Es ist jetzt schon untragbar für wie wenig Geld wir Textilien einkaufen können. Diese Dumpingpreise sind eine Abwärtsspirale, an dessen Ende die Arbeiterinnen und Arbeiter stehen, die kaum ihr Leben finanzieren können.
Wir sollten alle sehr viel weniger konsumieren. Dafür aber ausgewählt.
Was ist denn die Lösung?
Wir sollten alle sehr viel weniger konsumieren. Dafür aber ausgewählt. Man sollte sich nicht jede Saison neu eindecken, sondern sich maximal ein bis zwei neue Teile kaufen. Und sich da aber genau fragen: Was gefällt mir? Was möchte ich auch die nächsten zehn Jahre noch haben? Das ist in der Mode sicherlich schwieriger, da sich alles so schnell verändert und man ja auch in sein möchte, aber die Kombination von wenigen neuen Sachen mit klassischen Teilen aus der Vergangenheit – die man sich ja wiederum gut überlegt hat zu kaufen und deswegen auch lange gefallen – funktioniert.
Du lebst Nachhaltigkeit nicht nur in der Mode. Dein ganzes Familienleben ist nachhaltig.
Es ist bei uns ein grundsätzliches Thema, ja. Mein Mann und ich versuchen in jedem Bereich unser Leben so nachhaltig wie möglich zu gestalten. Das ist ein Stück weit Gewohnheit geworden. Wir haben zum Beispiel unseren Kinder so gut wie keine Spielzeuge und keine Möbel neu gekauft. Die Betten haben wir selbst gebaut, die Spielküche ebenfalls. Die Töpfe der Küche und das Holzobst sind diejenigen, mit denen ich als Kind schon gespielt habe. Wir kaufen im Bio-Laden ein, essen wenig Fleisch und wenn, dann aus artgerechter Tierhaltung. Wir trennen unseren Müll, wir bringen die Kinder mit dem Fahrrad zur KITA, fahren mit dem Rad zum Einkaufen. Ich kaufe mein Geschirr auf dem Flohmarkt, viele Möbel sind ebenfalls von da. Weil mir das aber auch gefällt.
Bald steht Weihnachten vor der Tür. Wie steht's um Geschenke?
Es gibt pro Kind ein Geschenk. Sowohl an Weihnachten als auch an den Geburtstagen. Das möchten wir auch gerne so lange wie möglich weiterführen.
Wie kleidest Du Deine Kinder?
Ich mache Einzelteile selber. Auch wenn ich es gerne wollen würde, ich schaffe es nicht, alles für meine Kinder selbst zu nähen. Und im Sinne der Nachhaltigkeit wäre dies auch gar nicht sinnvoll.
Wieso?
Ich bin recht kritisch, was Neuanschaffungen und Neuproduktionen angeht. Die Kinder tragen die Sachen relativ kurz und ich finde es nicht gut, wenn der gesamte Kleiderschrank neu angeschafft wurde. Natürlich kaufe auch ich ab und zu etwas Neues, aber prinzipiell versuche ich auf Flohmärkten oder aber im Austausch mit Freundinnen an Kinderkleider zu kommen. Das finde ich die schönste und nachhaltigste Art. Denn so wird Kindermode so lange es irgendwie geht genutzt.
Müssen Deine Kinder Faires tragen oder darf es auch mal Hello Kitty aus dem H&M sein?
Wir sind noch nicht so weit, dass sie selber entscheiden. Ich weiss nicht, wie ich darauf reagieren werde, wenn sie dann mal gerne zum H&M gehen möchten. Ich glaube, ich müsste mich schon am Riemen reissen. Aber mir ist es wichtig, dass ich meinen Kindern – oder auch Freunden oder Bekannten – kein schlechtes Gefühl gebe. Ich erkläre, warum mir etwas nicht passt und überlasse ihnen dann die Entscheidung.
Der moralische Zeigfinger wird also nie gehoben?
Das bringt nichts. Man kann nur vorleben und hoffen, dass da der Samen irgendwann aufgeht. Das gilt für unsere Kinder ebenso wie für unser Umfeld. Aber Veränderungen sind oft schwer durchzuziehen. Das kennen wir alle. Dennoch: Was du mitgekriegt, erklärt bekommen hast und dir vorgelebt wird, das prägt dich. So war es auch bei mir selbst.
Gibt es Dinge, die Dich bei Deinen Mitmenschen ärgern?
Eigentlich nicht. Das war früher so. Jetzt fällt es mir auf, aber ich versuche mich selbst zu reflektieren und ich überlege: Wie mache ich es, muss ich etwas verändern und wenn ja, was? Denn auch ich habe meine Gebiete, bei denen ich noch viel tun kann.
Wie haben wir es bloss geschafft, uns so weit von unseren Wurzeln zu entfernen? Jetzt ist es in unserer Verantwortung und Pflicht zurück zu rudern.
Darf es in dem Fall auch bei Dir einmal unfair sein?
Naja, manchmal überwiegen andere Bedürfnisse... Ich sündige zum Beispiel bei Süssem oft. Da habe ich dann einfach keine Lust auf die gesunde 40%ige Bio-Zartbitter-Schokolade. Beim Essengehen – passiert zugegebenerweise nicht mehr oft seit den Kindern – machen wir auch viele Ausnahmen. Dann haben wir eben an dem Abend Lust auf Indisch und gehen zu userem Lieblingsinder ums Eck. Andere Sachen gibt es auch einfach nicht fair, aber wir meinen nicht darauf verzichten zu können. Da stellt sich die Frage dann auch schlichtweg nicht.
Nachhaltig und fair. Wörter, die zurzeit sehr in Mode sind. Wie siehst Du das?
Wir haben so viel falsch gemacht in den letzten Jahrzehnten, dass wir jetzt für mein Gefühl in einer verkehrten Welt leben. Wir müssen für das, was früher einmal das Normalste auf der Welt war, neue Namen schaffen. Bio. Fair. Nachhaltig. Welche Ironie das ist. Wie haben wir es bloss geschafft, uns so weit von unseren Wurzeln zu entfernen? Jetzt ist es in unserer Verantwortung und Pflicht zurück zu rudern.
Ich will mich nicht selbstkasteien und mir und meiner Familie einen Käfig bauen. Es gibt keine 100%.
Back to the roots. Dein Grossvater war da gleicher Meinung. Er hat viele Bücher geschrieben. Wir würde der Titel Deines Buches heissen?
Ich versuche nachhaltig zu leben und würde mit einem Buch versuchen, möglichst viele Menschen zu erreichen, ohne den moralischen Finger zu heben. Das würd ich auch im Titel sagen wollen. Mir ist vollkommen klar, dass mein Leben nicht zu 100% nachhaltig ist. Nicht einmal annähernd. Es gibt überall noch Stellschrauben und ich kann noch so viel tun. Und ich will mich ja auch nicht selbstkasteien und mir und meiner Familie einen Käfig bauen – es darf nicht jeden Tag Anstrengung, Überwindung und Verzicht bedeuten. Denn sonst kann ich es nicht durchziehen und nachhaltig etwas ändern. Es gibt keine 100%. Ja, warum nicht – das könnte gar der Titel meines Buches sein.
Übrigens: Hier gehts lang zum DIY von Anna. Nämlich zum famosen Handtaschenball. Und hier zu unserer Auswahl an Fair Trade Labels. Wer sich, wie Anna vorschlägt, lieber mit weniger Kleidern zufriedengeben will, orientiert sich am besten am Prinzip der 5-Piece-Garderobe. Oder an der 10x10 Challenge. So oder so: Weniger ist viel mehr.