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Anleitung zum Loslassen: Ein Auszug aus «Trennt Euch!» von Thomas Meyer.

Mitten in Meyers Essay über inkompatible Beziehungen lasen wir übers Loslassen. Und zwar über dasjenige eines Partners, der nicht zu uns passt. Meyer nimmt eine klare Position ein, was wir an ihm kennen und lieben. Hier ein Auszug aus seinem aktuellen Buch «Trennt Euch», das uns vom Salis Verlag netterweise zur Verfügung gestellt wurde.

Anleitung zum Loslassen.

Ob Sie die Trennung vollzogen haben, Ihr Expartner sie vollzogen hat oder Sie sich gar einig waren, diesen Schritt zu tun – beide sind Sie nun aufgefordert, einander loszulassen. Dieser Vorgang ist zwar in aller Munde, doch wie er zu bewerkstelligen ist, kann einem keiner so recht sagen. Das liegt daran, dass es sich um eine Metapher handelt und nicht um ein Rezept. Ein solches sei Ihnen im Folgenden versuchsweise an die Hand gegeben.

1. Ausatmen

Atem, Gedanke und Gefühl sind direkt miteinander verbunden. Wie Sie atmen, so denken Sie, und wie Sie denken, so fühlen Sie. Fühlen Sie sich schlecht, haben Sie schlecht gedacht und somit falsch geatmet – nämlich nicht in den Bauch, sondern flach mit der Brust, wie fast alle Erwachsenen es tun, die sich zu stark an und mit ihrem Verstand orientieren und sich deswegen ständig über irgendetwas den Kopf zerbrechen. Kinder hingegen atmen ganz in den Bauch und sind deshalb fast immer fröhlich.

Atmen Sie in Ihre Brust, vermehrt und beschleunigt dies Ihre Gedanken; atmen Sie in den Bauch, zu Ihren Gefühlen hinab, besänftigt das den Geist. Die Bauchatmung ist die einfachste, schnellste und kostengünstigste Form der Psychotherapie: Mit jedem Ausatmen fließen Ihr Expartner, Ihre Beziehung mit ihm, Ihre falschen Hoffnungen und Ihre Wut ein Stück mehr aus Ihnen heraus. Atmen Sie hingegen in die Brust, halten Sie all dies zurück. Und damit sich selbst.

 

Sie atmen bis ganz unten in den Bauch ein. Sie atmen aus. Sie lassen Ihren Expartner los.

Sie atmen bis ganz unten in den Bauch ein. Sie atmen aus. Sie lassen Ihren Schmerz und Ihre Enttäuschung los.

Sie atmen bis ganz unten in den Bauch ein. Sie atmen aus. Sie lassen Ihren Protest los.

 

Kleben Sie an jede Tür in Ihrer Wohnung einen Zettel, auf dem Einatmen, Ausatmen steht. Lassen Sie es sich notfalls irgendwo hintätowieren.

 

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«Trennt Euch!» von Thomas Meyer erschien im Salis Verlag und ist, wie all seine Bücher, äusserst lesenswert.

 

2. Hineinfühlen und hindurchfühlen

Liebeskummer trifft stets beide. Beide haben ihre wichtigste Bezugsperson verloren, beide haben ein kleines Trauma durchlebt, beide sind einsam und verletzt. Umso intensiver und bewusster die nun auftretenden Gefühle gefühlt werden, umso zügiger und gründlicher lösen sie sich auf – und umso weniger belasten sie Ihre künftige Partnerschaft. Denn dort gehören sie auf keinen Fall hin.

Nun, was fühlen Sie gerade?

Sie sind wütend? Also fluchen Sie und erheben Sie gegen Ihren Expartner – in dessen Abwesenheit, versteht sich – alle Vorwürfe, die Ihnen in den Sinn kommen; egal wie ordinär, irrational und lachhaft. Probieren Sie gar nicht erst, darüberzustehen. Sie sind ein Mensch, kein Satellit. Schimpfen Sie, bis Ihnen nichts mehr einfällt.

Sie sind traurig? Also weinen Sie. Je trauriger Sie sind, umso größer ist Ihre Liebe gewesen, und es ist die reine Schönheit, darüber trauern zu dürfen. Fühlen Sie sich durch Ihre Trauer hindurch, Tag für Tag und Schicht um Schicht. So lange es eben dauert.

Sie fühlen sich einsam? Also bleiben Sie zu Hause und schalten Sie Ihr Telefon aus. Meiden Sie die Abgeschiedenheit nicht, sonst werden Sie schon bald mit jemandem im Bett liegen, der sie auch nicht ertragen kann. Nutzen Sie diese Zeit zur Heilung und seien Sie sich selbst der aufmerksame, liebevolle und lustige Partner, den Sie sich wünschen. Tun Sie Dinge, die Ihnen Freude bereiten. Gehen Sie allein ins Kino, buchen Sie ein Hotel in den Bergen, gehen Sie allein wandern, dinieren Sie allein im Speisesaal und seien Sie bei alledem zufrieden mit sich selbst.

Sie mögen nichts mit sich unternehmen, weil Sie merken, dass Ihnen Ihre eigene Gesellschaft unangenehm ist und Sie sich lieber aus dem Weg gehen? Das ist gar nicht gut. Reden Sie mit einem Therapeuten darüber.

Sie sind schon wieder wütend? Immer raus damit! Sagen Sie Ihrem Expartner, was Sie von ihm halten – aber nicht persönlich. Gehen Sie in den Wald, stellen Sie sich vor, Ihr Expartner stünde Ihnen gegenüber, und sprechen Sie laut aus, was Sie ihm sagen wollen. Reden Sie sich alles von der Seele, bis sie wieder frei ist. Statten Sie dem Wald sowieso häufige Besuche ab, er ist ein vortrefflicher Heiler und verzeiht jeden Kraftausdruck.

Sie sind schon wieder traurig? Ausgezeichnet! Das heißt, dass Sie sich nicht dagegen wehren. Immer beherzt voran durch das dornige Strauchwerk des Trennungsschmerzes! Entweder Sie bewältigen Ihre Trauer jetzt oder sie wird sich tief in Ihnen einnisten und später, wenn ein neuer Mensch Sie berührt, wieder aufbrechen.

Sie sind verzweifelt, glauben nicht mehr an die Liebe und finden, niemand auf der ganzen Welt sei schlimmer dran? Saufen Sie! Es gibt gute Getränke und gute Musik für Liebeskummer. Unternehmen Sie nichts gegen ihn – feiern Sie ihn. Manch einer gäbe viel dafür, wieder mal ein gebrochenes Herz zu haben.

Sie vermissen Ihren Partner und stellen fest, dass Sie ihn immer noch lieben? Vermissen Sie ihn! Lieben Sie ihn! Seien Sie dankbar, dass Sie so berührt worden sind und sich so tief verbunden haben. Zertreten Sie Ihre Gefühle nicht, das wäre eine Grausamkeit gegen sich selbst und Ihre gemeinsame Vergangenheit. Lieben Sie den Menschen, den Sie verloren haben, so lange, wie Sie ihn eben lieben, und wenn Sie es in Ihrer letzten Stunde noch immer tun, werden Sie glücklich sterben. Bedenken Sie auch, dass Ihr Expartner Ihre Qualitäten gespiegelt hat, nicht geraubt. Was Sie vermissen, ist demzufolge weniger dieser bestimmte Mensch als vielmehr ein Pendant für Ihre eigene Güte.

Eine Trennung ist und bleibt ein großer Mist. Aber richtig mühsam gerät sie nur, wenn Sie sich gegen Ihre Gefühle wehren. Erkennen Sie den Protest, unterlassen Sie ihn, fühlen Sie, was es zu fühlen gibt, ohne ein neues Drama daraus zu machen, hören Sie wieder auf zu trinken und üben Sie sich in Zuversicht. Denn so, wie es jetzt ist, wird es nicht bleiben. Bessere Zeiten sind bereits auf dem Weg zu Ihnen.

(Atmen Sie noch in den Bauch? Man vergisst es so schnell!)

3. Die Worte der Freunde prüfen

Hören Sie nicht auf Ihre Freunde, die Ihnen sagen, Sie hätten etwas Besseres verdient. Sie haben es gewiss verdient, sich besser zu fühlen als in einer nichtpassenden Beziehung, aber etwas Besseres in Bezug auf einen Menschen setzt diesen herab und damit Ihre Liebe ihm gegenüber. Hören Sie auch nicht auf jene Freunde, die Sie nun in die Nachtclubs zerren und Ihnen ein Abenteuer zum Vergessen oder gleich einen neuen Partner aufschwatzen wollen. Nur oberflächliche Menschen tun das. Echte Freunde setzen sich mit Ihnen an den Küchentisch und fühlen sich mit Ihnen durch Ihre Gefühle, anstatt Ihnen diese auszureden. Echte Freunde nehmen auch nicht blindlings Ihre Seite ein und schmähen aus falsch verstandener Loyalität Ihren Expartner, sondern machen Sie auf problematische Verhaltensweisen Ihrerseits aufmerksam.

4. Stopp sagen

Der Verstand ist wie ein junges Pony, das kreuz und quer durch die Blumenbeete hüpft. Man muss ihn zähmen und ihm das frustrierende Studium des Unabänderlichen verbieten. Wenn Sie überlegen, was Sie hätten anders machen sollen, damit es geklappt hätte mit Ihrem Expartner, sagen Sie laut: Stopp!

Lauter!

Noch lauter!

Wenn Sie überlegen, was Ihr Expartner alles hätte anders machen müssen, sagen Sie: Stopp! Wenn Sie sich vorstellen, wie er mit einem anderen Menschen schläft, sagen Sie: Stopp! Und atmen Sie so lange tief ein und aus, bis diese Gedanken wieder in den Hintergrund treten. Das Leben Ihres Expartners geht Sie nichts mehr an und sein Liebesleben erst recht nicht.

Wenn Sie sich hingegen vorstellen, wie Sie mit Ihrem Expartner schlafen, genießen Sie die vielfältigen Masturbationsphantasien. Sie werden bald genug verblassen.

5. Schwarze Liste schreiben

Erstellen Sie eine Liste mit den Dingen, die Sie an Ihrer Beziehung und Ihrem Partner gestört haben, und holen Sie sie hervor, sobald Sie die Vergangenheit und deren Personal zu glorifizieren beginnen. Das wird unweigerlich passieren, weil das Herz alles vergibt und der Geist einen leidenschaftlichen Drang zur Mythenbildung hat und weil ja trotz allem viel Schönes stattgefunden hat, weswegen Sie kurzerhand die Schwierigkeiten der vergangenen Monate und Jahre kleinreden und behaupten, indem Sie mit den Fäusten gegen das nunmehr verschlossene Tor Ihrer Beziehung trommeln, hinter diesem hätten paradiesische Zustände gewaltet.

Rufen Sie sich anhand der schwarzen Liste ins Gedächtnis, wie sich Ihre Beziehung tatsächlich gestaltet und angefühlt hat. Dann wird auch Ihr Bedürfnis nach Rückkehr zerfallen. Und sonst bitten Sie einfach Ihre Freunde um eine ehrliche Wiedergabe ihrer Beobachtungen der jüngsten Zeit.

(Atmen Sie noch in den Bauch? Man vergisst es so schnell!)

6. Social-Media-Sperre

Tun Sie sich den Gefallen und verzichten Sie darauf, das neue Leben Ihres Expartners aus der Ferne mitzuverfolgen. Loslassen heißt auch in Ruhe lassen.

7. Begrüssen

Auch wenn es sich vorläufig nicht so anfühlt: Es ist richtig, dass Sie getrennt sind. Es ist kein Versehen, keine Strafe, kein Unfall und kein Irrtum, sondern ein notwendiger Schritt in Ihrer Entwicklung, den Sie womöglich jahrelang verhindert haben. Begrüßen Sie ihn als etwas Begrüßenswertes.

Stellen Sie sich vor den Spiegel und sagen Sie zu sich selbst, als sprächen Sie vor tausend Zeugen:
Es ist richtig, dass diese Beziehung zu Ende ist. 
Es ist gut für mich.
Ich freue mich darüber.
So lange, bis Sie es zumindest nicht mehr ausschließen.

Frei sein werden Sie, wenn Sie es tatsächlich so sehen und die Situation, wie sie jetzt ist, genau so wollen.

8. Verabschieden

Sie machen das Licht aus. Sie legen sich ins Bett. Sie decken sich zu. Sie stellen sich vor, wie Ihr Partner neben Ihnen liegt, so wie er es viele Male getan hat. Sie flüstern zärtlich und ehrlich diesen Loslasszauberspruch:
Ich danke dir, dass du mir so nahe gewesen bist und mich so viel gelehrt hast. Ich danke dir und gebe dir mein liebendes Lebewohl mit auf deinen Weg, für den ich dir von Herzen das Beste wünsche.

Am nächsten Morgen werden Sie losgelassen haben. Ansonsten wiederholen Sie dieses kleine Ritual und meinen es diesmal ernst mit dem Lebewohl. Lebewohl heißt, dass man sich nicht mehr wiedersehen wird. Lebewohl heißt, dass es endgültig vorbei ist.

Es spielt keine Rolle, ob dem wirklich so ist; vielleicht hat das Schicksal ja noch Pläne für Sie und den Menschen, der gegenwärtig Ihr Expartner ist. Aber diese Pläne können nur wahr werden, wenn Ihr heutiges Lebewohl eines für immer ist. Nur so können Sie sich später auf einer höheren, wahrhaftigeren Ebene wieder begegnen.

Nehmen Sie so lange Abschied, bis Sie sich tatsächlich verabschiedet haben, lassen Sie währenddessen möglichst die Finger von neuen Menschen und hören Sie auf, mit Ihren Freunden über Ihren Expartner zu reden, sonst kann sich diese Wunde nie schließen. Und dann warten Sie, was die Fügung Ihnen als Nächstes in den Schoß legt.

(Atmen Sie noch in den Bauch? Man vergisst es so schnell!)

9. Nach vorn schauen

Diese Metapher benötigt keine Gebrauchsanweisung, lediglich konzentrierte Anwendung. Schauen Sie nach vorn in Ihr Leben:

Was sehen Sie dort?
Was möchten Sie dort sehen?
Wen möchten Sie dort treffen?
Was möchten Sie dort erleben?
Wie wollen Sie sich dort fühlen?

Jetzt ist die Zeit für kluge, schöne Wünsche. Mehr können Sie nicht tun. Nur indem Sie jetzt ganz loslassen, sind Sie später in der Lage, sich wieder jemandem ganz zu öffnen. Und je mehr Sie jetzt festhalten, umso weniger nahe wird Ihnen je wieder ein Mensch sein können.

Atmen Sie ein, atmen Sie aus und lassen Sie los.

 

#tadahtipp Wer mehr über Thomas Meyer erfahren will, liest am besten die Geschichte vom grossen und vom kleinen Meyer. Kurz: Das Tadah-Interview übers Vater- und Schriftstellersein.