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Kinder brauchen Märchen. Ein Plädoyer für Mord, Totschlag, Blut und Gift.

Das Buch von Bruno Bettelheim («Kinder brauchen Märchen») ist ein Plädoyer, ja, ein Appell, Kinder so zu akzeptieren wie sie sind. Und ihnen mehr Märchen zu erzählen. Ein Buch über Geschichten, die Kinder fesseln, ihre Neugier wecken und ihr Leben bereichern. Passend dazu: die Sammelbänder der schönsten deutschen Volksmärchen.

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1977, als das Buch des Psycho-Analytikers Bettelheim erschien, waren Märchen, allen voran jene der Gebrüder Grimm, fürchterlich in Verruf geraten. Sie seien gewaltverherrlichend, sexistisch, gespickt mit aggressiven Lösungsmustern. Kurz: Sie machen den Kindern Angst und seinen zu brutal, also ungeeignet für sie. Kein Wunder fand Bettelheims Buch in den Siebzigern derart grosse Resonanz, rehabilitierte er doch mit diesem Werk die Volksmärchen. Wie? Indem er einen Zusammenhang aufzeigte zwischen der Märchenwelt und der Welt, wie sie Kinder sehen und erleben. Er ging sogar noch weiter und stellte die These auf, dass Märchen unseren Kindern helfen, innere Konflikte zu lösen. Aber alles der Reihe nach.

«Viele Märchen sind zwar unrealistisch, aber nicht unwahr.»

Auch 40 Jahre später fragen sich manche Eltern, ob Mord und Totschlag, Blut und Gift ihren Kindern zumutbar sind? Sie stocken bei Sätzen wie «... und die Stiefmutter musste in glühenden Schuhen tanzen, bis sie tot umfiel.» Wobei dies noch harmlos ist. Hierbei muss man wissen: Früher waren Märchen nicht für Kinder, sondern für Erwachsene gedacht – die Volkserzählungen dienten der Erheiterung und wurden über Generationen hinweg mündlich überliefert. Wahrscheinlich deshalb erinnern gewisse Strafen in Grimms Gruselmärchen auch an Bestrafungen aus dem Mittelalter, Hexenverbrennung lässt grüssen.

Happy End trotz Mord und Totschlag.
Bettelheim findet, dass Märchen durchaus zumutbar, ja, gar lehrreich sind. Weil - wir zitieren - diese Erzählungen eine Erkenntnis des Lebens von innen her sind. Kinder erfassen intuitiv die wesentlichen Entwicklungsschritte zu einem unabhängigen Leben. So meint Bettelheim weiter: Viele Märchen sind zwar unrealistisch, aber nicht unwahr. Wir hätten da zum einen die gewalttätigen Fantasien, die Angst vor Sexualität, die Trennungsangst – alles wahrlich grausame Geschichten, die dennoch eine Lebenshilfe sind für Kinder. Weil sie auf eine zugegebenermassen etwas gar zugespitzte Art die Schwierigkeiten des Heranwachsens thematisieren. Und dank dem «Wenn sie nicht gestorben sind, leben sie glücklich bis an ihr Lebensende», also dem Happy End, haben die Kinder die Hoffnung auf auf eine bessere Zukunft.

Happy Ends wurden sowieso erst durch Märchen richtig populär. Wusstet Ihr, dass Rotkäppchen in der Version des französischen Dichters Charles Perrault («Le Petit Chaperon rouge») vom bösen Wolf gefressen wird und damit die Geschichte endet? Erst die Gebrüder Grimm liessen einen Jäger Rotkäppchen samt Grossmutter aus dem Wolf’schen Bauch schneiden und überleben.

Hexe verbrannt, Problem gelöst. So einfach ist das.
Märchen entsprechen dem Kinderwunsch nach dem Fantastischen als auch nach dem Schrecklichen. In des Kindes Kopf ist die Logik nämlich eine ganz simple: Nimmt die Furcht, gefressen zu werden, die greifbare Gestalt einer Hexe an, dann kann man sich ganz einfach von ihr befreien, indem man sie im Backofen verbrennt. Voilà, Problem gelöst. Bettelheim ist davon überzeugt, dass Märchen weder Aggressionen noch Ängste hervorrufen, sondern im Gegenteil dabei helfen, ebendiese Gefühle zu bewältigen.

Märchen bieten somit eine Lebenshilfe, weil sie die kindlichen Ängste und Nöte nicht verniedlichen, sondern sie ernst nehmen – in ihrer ganzen Schwere. Zudem bieten Märchen Lösungen an, die Kinder auch verstehen, weil sie der kindlichen Denke entsprechen und symbol- sowie bildhaft sind.

Wusstet Ihr, dass Pinocchio seinen besten Freund mit einem Hammer erschlug, weil er ihm auf die Nerven ging?
Unsere Volksmärchen waren viel grausamer, bevor Disney Hand anlegte. Weil das Original tastsächlich etwas gar nah am Unerträglichen vorbeischrammt. Cinderella beispielsweise wird von der Stiefmutter daran gehindert, den Pantoffel anzuprobieren, mit dem der Prinz seine Angebetete sucht. Im Original, werden Fersen und Zehen abgeschnitten und auf der Hochzeit von Aschenputtel und ihrem Prinz picken die Tauben den bösen Stiefschwestern die Augen aus. Heavy stuff.

Schneewittchen und die sieben Kleinwüchsigen.
Vor diesen Szenarien fürchten sich aber nicht die Kinder, sondern die Eltern. Laut einer Umfrage der britischen «BabyWebsite» ersetzen viele Eltern die Volksmärchen durch moderne Gute-Nacht-Geschichten aus Angst, die Geschichten würden ihre Kinder verängstigen. Die sieben Zwerge sind politisch nicht korrekt und sollten umbenannt werden in »Schneewittchen und die sieben Kleinwüchsigen» und Aschenputtel dürfe nicht zur Hausarbeit genötigt werden.

Und wir so?
Das Fazit nach der Lektüre: Kinder müssen lernen, dass es im Leben Schwierigkeiten gibt. Und dass man ebendiese Schwierigkeiten meistern kann. Unser wichtigstes Argument pro Märchen ist aber ein ganz anderes: Unsere Kinder lieben sie. Punkt. Deshalb: Ran an die schönsten Sammlungen deutscher Volksmärchen. Einige davon findet Ihr weiter unten.

 

#tadahtipp «Raising children is a creative endeavor, an art rather than a science», sagte Bruno Bettelheim einst. Also werden wir kreativ. Bevor man jedoch beginnt, eigene Märchen zu schreiben, kann man sich dem Thema Kreativität auch etwas gemächlicher nähern: Indem man seine Kinder in die Heldenrolle bereits vorgefertigter Geschichten bei minibigbooks.com einfügt. Wie das geht, lest Ihr hier: Kinder brauchen mehr Helden. Zum Beispiel sich selbst.